Enttarnte Agenten in den USA Spießbürger in geheimer Mission
Die Vorwürfe gegen elf mutmaßliche russische Spione in den USA lesen sich wie ein schlechter Thriller: Die Angeklagten lebten in idyllischen Vororten, trafen sich bei Starbucks mit ihren Kontaktleuten und beschwerten sich über ihre Ausstattung - Einblicke in eine bizarre Agentenposse.
Spionagethriller brauchen schöne Frauen. Sie gelten als unentbehrlich. Was wäre James Bond schon ohne seine "Bond Girls"?
In diesem Fall kommt das Girl aus Russland und heißt Anna, wahlweise Anya. Anna Chapman, 28, Maklerin, geschieden, kinderlos, derzeitiger Wohnsitz: New York City. Ihre volle, rote Mähne grüßte am Dienstag von allen Zeitungskiosken Manhattans: "Femme fatale", tönte die "New York Post", die Chapman, passend im roten Cocktailkleid, zum Covergirl kürte. "Kalter Krieg in New York", bibberte die "Daily News".
Chapman ist einer von elf mutmaßlichen russischen Spionen, die das FBI verhaftet hat - eine ebenso spektakuläre wie bizarre Aktion, die eher an Graham Greenes Agentenklamotte "Unser Mann in Havanna" erinnert als an John le Carrés "Spion, der aus der Kälte kam". Die Akteure erscheinen als tölpelhafte Laien, ihre Utensilien kaum raffinierter als Maxwell Smarts Telefonier-Schuh aus den sechziger Jahren.
Russen reagieren verärgert
Bei den Verdächtigen handelt es sich - nur dem Anschein nach, so das FBI - meist um ganz normale Spießbürger mit Reihenhäuschen, Vorgärten, Kindern sogar. "Liebesgrüße aus Moskau" meets "Desperate Housewives": Die Besetzung dieser Spitzelposse könnte einem Hollywood-Drehbuch entstammen - und hat doch schon explosiv-transatlantische Folgen.
Zwar bemühten sich die USA um Schadensbegrenzung. Der Fall werde das Verhältnis zu Russland nicht belasten, sagte der stellvertretende Außenminister Philip Gordon. Dennoch reagierte Russland verärgert und nannte die Polizeiaktion unbegründet. Ministerpräsident Wladimir Putin warf der amerikanischen Polizei vor, außer Kontrolle geraten zu sein.
Was genau die Beschuldigten ausspioniert haben sollen, bleibt dabei völlig unklar. Die zwei separaten Anklagen beschreiben Befehle und Ziele - doch keine konkreten Ergebnisse.
Die Methoden der Vorstadt-Agenten waren dem FBI zufolge mal professionell, mal klischeehaft, mal schlicht dilettantisch: Übergaben in Stadtparks, stille Briefkästen, unsichtbare Tinte, falsche Pässe und Identitäten, Spezial-Software für Code-Botschaften in Websites und Internetfotos. Sieben Jahre lang spähte das FBI sie aus - hörte ihre Telefone ab, las ihre E-Mails und folgte ihren Autos via GPS-Wanzen.
Zum Gerichtstermin in Designerjeans
Beispiel Anna Chapman: US-Medien porträtieren sie als moderne Mata Hari. "'Red Head", nennt sie die "Post", Rotschopf, rote Gefahr: "Eine flammenhaarige, 007-würdige Schönheit, die von hochkarätigen Partys zu Top-Secret-Treffen huschte." Andere fabulieren über Chapmans "Victoria's-Secret-Body". Eine "geübte Betrügerin" und "außerordentliche Agentin", sekundierte Staatsanwalt Michael Farbiarz, als er am Montag die Anklage verlas. Die Reporter notierten dabei flink, dass die Dame zum Gerichtstermin Designerjeans trug.
Die gebürtige Russin betrieb ihrem Anwalt zufolge ein Online-Immobiliengeschäft im Wert von zwei Millionen Dollar und lebte in einer Luxuswohnung unweit der Wall Street. Auf ihrem Facebook-Profil zeigt sich Chapman freilich als eine jener Frauen, wie es sie in Manhattan zu Tausenden gibt: Single, nicht mehr ganz so jung, ein bisschen aufdringlich.
Da gibt sie an, sie liebe Tequila und Bloggen, postet aufreizende Porträtfotos und zitiert ein New-Age-Motto: "Wenn du es dir vorstellen kannst, kannst du es erreichen; wenn du es dir erträumen kannst, kannst du es werden."
Das alles war nach Ermittlungen des FBI nur Fassade - ebenso wie die bürgerlichen Existenzen, die die anderen zehn Angeklagten über Jahre hinweg angeblich mit Moskaus Hilfe in der US-Vorstadtprovinz gepflegt haben sollen. Es war am Ende aber Chapman, die Glamouröseste der Truppe, durch die die ganze Sache aufflog.
Agenten im Vorstadthaus
Die Anklage beschreibt, wie sich Chapman im März mit ihrem Laptop in einen Barnes-&-Noble-Buchladen im West Village gesetzt habe. Ein "russischer Regierungsbeamter", der sie als Agentin in den USA betreut habe, habe sich derweil draußen positioniert, um über ein privates Wifi-Netzwerk Daten auszutauschen. Ein ähnlich konspiratives Treffen habe es in einem Starbucks im Theaterviertel gegeben.
Am Sonntagabend wurde Chapman verhaftet, da das FBI befürchtete, dass sie misstrauisch geworden war und fliehen wollte. Kurz zuvor hatte sie ein Wegwerf-Handy gekauft und als ihre Adresse angegeben: "99 Fake Street".
Mit Chapman wurde auch der Rest der Truppe einkassiert - in New Jersey, Virginia, Massachusetts und Yonkers, einer Vorstadt von New York. Der Letzte ging am Dienstagmorgen ins Netz: Der mutmaßliche finanzielle Mittelsmann Christopher Metsos, den die Behörden in Zypern festsetzten.
Im Gegensatz zu Chapman hatten andere Akteure der Anklage zufolge geradezu biedere Tarnungen. Richard und Cynthia Murphy etwa wohnten in Montclair, einem idyllischen Örtchen westlich von Manhattan. Die Nachbarn - die zusahen, wie das Ehepaar in Handschellen abgeführt wurde - sprachen von "personifizierter Suburbia". "Die können keine Spione gewesen sein", sagte die 15-jährige Jessie Gugig der "New York Times". "Schauen Sie doch nur, was die mit den Hortensien gemacht haben."
Hortensien waren dem FBI zufolge aber nicht das einzige Hobby der Murphys. Ihr Auftrag sei es gewesen, die US-Haltung zur Abrüstung und zu Irans Atomprogramm zu eruieren. Mrs. Murphy sollte sich demnach an einen Finanzier heranmachen, der "für eine große politische Partei" Geld sammele und "ein persönlicher Freund" eines US-Kabinettsmitglieds sei.
Agententreffen in Rom
Die Murphys waren allerdings, wie das FBI weiter ausführt, unbequeme Spione. Sie hätten sich oft über defekte Spitzeltechnik beschwert und sich mit Moskau auch wegen der Finanzierung ihres Hauses angelegt. "Ich bin froh, dass ich nicht euer Betreuer bin", habe ihr Mitangeklagter Metsos geseufzt.
Richard Murphy, so die Anklage, sei für ein Agententreffen sogar bis nach Rom gereist, wo er einen gefälschten Pass bekommen habe. Auch diese Transaktion verlief offenbar wie in einem B-Movie. Der Erkennungsdialog zwischen Spion und Spion habe gelautet: "Entschuldigung, aber haben wir uns nicht 1999 in Malta kennengelernt?" "Ja, stimmt. Es war in La Valetta, aber im Jahr 2000."
Mit dem Pass sei Murphy nach Moskau geflogen, habe da einen mit Spitzeltechnologie ausgestatteten Computer abgeholt und ihn dann in den USA an Michael Zottoli übergeben, einen weiteren Angeklagten.
Aber auch das war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Zottoli und seine Gattin Patricia Mills wohnten in Arlington in Virginia, vor Washingtons Toren. Ein Treffen von Zottoli und Murphy im New Yorker Central Park ging dem FBI zufolge beim ersten Mal daneben - die beiden hätten sich verpasst. "Ich war um drei Uhr da", habe sich Murphy später in einem Telefonat beschwert. Zottolis Replik: "Ich auch." Tags darauf habe die Übergabe dann geklappt.
"Tüten mit Bargeld"
Parkanlagen spielten offenbar auch für ein weiteres mutmaßliches Agentenpärchen eine Rolle. Vicky Pelaez, Kolumnistin der peruanischen Zeitung "El Diario/La Prensa", und Juan Lazaro, ein College-Professor, seien unter anderem dabei beobachtet worden, wie sie in einem Stadtpark in Südamerika einem russischen "Betreuer" Geheimbotschaften "in unsichtbarer Tinte" übergeben und im Gegenzug "Tüten mit Bargeld" erhalten hätten.
Der Angeklagte Mikhail Semenko wiederum, ebenfalls aus Arlington, arbeitete zwei Jahre lang für das Conference Board, ein Unternehmen, das US-Wirtschaftsdaten analysiert. Später war er US-Presseberichten zufolge in einer Reiseagentur angestellt. Er habe einen Mercedes S-500 gefahren und "eine brünette Freundin" gehabt. "Wie in einem Film", sagte Slava Shirokov, der Mitbesitzer der Agentur, der "Washington Post". "Es scheint alles noch ziemlich surreal."
Donald Howard Heathfield und Tracey Lee Ann Foley wurden in Cambridge bei Boston verhaftet. Sie lebten am Harvard Square in einer ruhigen Wohnstraße, beliebt bei Professoren und Studenten. Heathfield arbeitete für Global Partners, eine Consulting-Firma. "Wir sind völlig schockiert", sagte deren Chef Paul Hesselschwerdt dem "Boston Globe".
In Wahrheit, so das FBI, hätten Heathield und Foley hochsensible Themen für die Russen ausspioniert - etwa "Forschungsprogramme" zu "nuklearen Sprengköpfen". Demnach setzten sie ihre Lebenshaltungskosten als monatliche Spionage-Spesen ab: "Reise zu einem Treffen" (1125 Dollar), "Ausbildung" (3600 Dollar"), Miete (8500 Dollar), Auto-Leasing (2180 Dollar), Krankenversicherung (139 Dollar), Anwaltskosten (700 Dollar), "Speisen und Geschenke" (1230 Dollar). Bezahlt worden seien sie in Euro, zum Kurs 1:1,29 Dollar.