EU-Haushaltsgipfel Cameron führt Aufstand der Nettozahler an
Der europäische Haushaltsgipfel ist geplatzt. Die 27 Regierungschefs konnten sich im ersten Anlauf nicht auf ein neues Budget für die EU-Kommission einigen. Die Nettozahler wollen den Anstieg der Ausgaben stärker begrenzen - nun wird ein weiterer Gipfel nötig.
Am Ende war die Kluft zwischen Nettozahlern und Empfängerländern einfach zu groß. Die 27 Staats- und Regierungschefs gingen nach dem EU-Haushaltsgipfel in Brüssel ohne Einigung auseinander.
Die Regierungschefs spielten ihr Scheitern sogleich herunter. Es gebe keinen Grund zur Eile, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Freitag in ihrer Abschlusspressekonferenz. Man werde eben Anfang 2013 auf einem weiteren Sondergipfel weiterverhandeln. Sie habe ja schon vor dem Gipfel gesagt, dass man wahrscheinlich zwei Etappen brauche. Frankreichs Staatspräsident François Hollande taufte das Treffen kurzerhand zu einem "vorbereitenden" Gipfel um.
Zwei Tage lang hatten sie über den siebenjährigen Finanzrahmen der EU-Kommission für den Zeitraum von 2014 bis 2020 verhandelt. Die Kommission selbst hatte eine Erhöhung des Budgets auf 1091 Milliarden Euro über sieben Jahre vorgeschlagen. Das war auf scharfen Widerstand der Nettozahler gestoßen. Der Zeremonienmeister des Gipfels, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, hatte daher den Vorschlag schon vor Gipfelbeginn um 81 Milliarden Euro auf 1010 Milliarden Euro gekürzt.
Der Rompuy-Kompromiss, der auf dem Tisch lag, befriedigte jedoch weder die Nettozahler noch die Empfängerländer. Das stellte sich schon in den bilateralen Vorgesprächen am ersten Gipfeltag heraus. Und auch am zweiten Tag gab es keine Annäherung.
Merkel als Mittlerin zwischen den Lagern
Schnell bildete sich eine Allianz der Nettozahler, angeführt vom britischen Premierminister David Cameron. Es sei keine Zeit zum Herumbasteln, sagte der Tory. Seit Wochen hatte er bereits auf radikale Kürzungen des Kommissionsvorschlags gedrängt. Nun schlossen sich ihm die Kollegen aus den Niederlanden und den skandinavischen Ländern an. Für Cameron war diese Interessengemeinschaft wichtig, sandte sie doch die Botschaft, dass er nicht allein gegen 26 kämpfte. Er kämpfe nicht nur für die britischen, sondern für alle europäischen Steuerzahler, sagte er.
Merkel agierte im Windschatten der Rebellen. Ihr war es ganz recht, dass Cameron den Kampf mit der EU-Kommission und den 17 Empfängerländern suchte. Den Finanzrahmen zu reduzieren, lag schließlich auch im deutschen Interesse. Und ihr selbst eröffnete dies die Chance, sich über den Lagerkampf zu erheben und präsidial zu erscheinen.
Die Kanzlerin spielte in den Verhandlungen eine doppelte Rolle. Sie verteidigte deutsche Anliegen wie die Agrarförderung, die Strukturhilfen für Ostdeutschland und den deutschen Rabatt. Zugleich war sie aber auch als Mittlerin zwischen den beiden Lagern tätig.
Der Gipfel hatte am Donnerstag mit vielen bilateralen Sondierungsgesprächen begonnen, die sich über 15 Stunden hinzogen. Erst um 23 Uhr saßen die 27 Regierungschefs zum ersten Mal um einen Tisch zusammen. Van Rompuy legte einen zweiten Kompromissvorschlag vor. Das Gesamtvolumen von 1010 Milliarden Euro hatte er darin aber nicht weiter reduziert, sondern nur einige Posten umgeschichtet. So wurden die Kürzungen der Agrarförderung und der Kohäsionsfonds wieder teilweise zurückgenommen, nachdem Frankreich und Polen protestiert hatten. Dafür mussten die Infrastruktur- und Forschungsausgaben stärker bluten.
Empfänger wollten mehr Investitionen, die Geber mehr Einschnitte
Die Nettozahler reagierten verärgert. Van Rompuys zweiter Vorschlag sei noch schlechter als der erste, hieß es. Obendrein hatte der Belgier einen expliziten Wunsch Camerons ignoriert. Der Brite wollte das EU-Verwaltungsbudget von 62 Milliarden Euro um sechs Milliarden kürzen: Unter anderem forderte er eine zehnprozentige Gehaltskürzung für alle EU-Beamten und die Rente mit 68. Van Rompuy ließ den Etatposten unangetastet.
Der Affront gegen Cameron sorgte für eine gewisse Solidarisierung unter den Nettozahlern. Insbesondere Merkel wollte nicht beim Spiel der EU-Institutionen mitmachen, den Briten zu isolieren. In der Diskussion am Freitag warb sie dafür, eine Einigung der 27 zu suchen. Doch die Widersprüche waren zu offensichtlich: Während die Empfängerländer auf höhere Investitionen pochten, bestanden Großbritannien, Niederlande und Schweden auf weitere Einschnitte in zweistelliger Milliardenhöhe. Man einigte sich darauf, Van Rompuy einen weiteren Kompromissvorschlag erarbeiten zu lassen und bei einem zweiten Sondergipfel Anfang 2013 darüber zu beraten.
Merkel gab sich nach dem Scheitern betont gelassen. "Wir haben Zeit", sagte sie. Doch wird eine Einigung im Januar nicht einfacher werden. Van Rompuy erinnerte daran, dass man 2005 bei den letzten Verhandlungen über einen EU-Finanzrahmen auch zwei Gipfel für eine Einigung gebraucht habe. Doch gelang dies nur, weil Großbritannien damals die Ratspräsidentschaft innehatte und Tony Blair weitreichende Zugeständnisse beim Briten-Rabatt machte. Danach sieht es bei Cameron bisher nicht aus.