Gauck-Absage Timoschenko-Drama isoliert EM-Gastgeber Ukraine
In einem Monat beginnt die EM in der Ukraine, und Präsident Janukowitsch ist weitgehend isoliert. Joachim Gauck sagt seinen Besuch ab - aus Protest gegen die Haftbedingungen von Ex-Premierministerin Timoschenko. Müssen andere Spitzenpolitiker das Fußballturnier boykottieren?
Der letzte außenpolitische Coup der ukrainischen Führung liegt einen Monat zurück. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul berieten Ende März Staats- und Regierungschefs über Nuklear-Sicherheit. Wiktor Janukowitsch, 61, Präsident der Ukraine und seit Monaten wegen Einschränkungen der Pressefreiheit und der Haftstrafe für seine Rivalin Julija Timoschenko international in der Kritik, durfte in Seoul über die "Schaffung eines Forschungszentrums von Weltrang am Atomkraftwerk Tschernobyl" sprechen.
Nach dem Gipfel verbreiteten Janukowitschs PR-Strategen stolz die Nachricht, der Präsident sei mit US-Staatschef Obama zusammengetroffen, "zu Gesprächen". Was sie verschwiegen: Die Unterredung fand im Stehen statt und dauerte rund vier Minuten, Begrüßung und Verabschiedung eingeschlossen.
Wiktor Janukowitsch ist seit zwei Jahren Staatschef des zweitgrößten Flächenlandes Europas. Die Ukraine richtet ab Anfang Juni die Fußball-Europameisterschaft aus, in der Hauptstadt Kiew findet am 1. Juli das Finale statt, doch schon vor Turnierbeginn zeichnet sich ab: Janukowitsch wird ein einsamer Gastgeber des Turniers werden.
Bundespräsident Joachim Gauck hat eine für Mitte Mai geplante Reise zu einem Treffen mitteleuropäischer Staatschefs abgesagt, aus Protest gegen das Vorgehen ukrainischer Behörden gegen die Ex-Premierministerin und Oppositionsführerin Julija Timoschenko.
Timoschenko verbüßt derzeit in einem Gefängnis in Charkow eine siebenjährige Haftstrafe. Am 13. Juni ist Charkow Austragungsort der Partie zwischen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und den Niederlanden. Ein Kiewer Gericht hatte Timoschenko des Amtsmissbrauchs beim Abschluss von Gasverträgen mit Russland für schuldig befunden. Internationale Beobachter werteten das Urteil aber als politisch motiviert. Timoschenko war Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen nur knapp unterlegen. 2004 führte sie die "Revolution in Orange" an, die verhinderte, dass Janukowitsch vom damaligen Präsidenten Leonid Kutschma mittels Wahlfälschungen als Nachfolger installiert wurde.
Der Fall Timoschenko belastet das Verhältnis zwischen der EU und der ukrainischen Führung. Brüssel hat ein Assoziierungsabkommen mit Kiew auf Eis gelegt. Erweiterungskommissar Stefan Füle zeigte sich "extrem besorgt über jüngste Berichte über die Behandlung von Timoschenko".
Boykottieren Spitzenpolitiker jetzt die EM?
Timoschenko ist seit Monaten erkrankt, fürchtet aber eine Behandlung durch ukrainische Gefängnisärzte. Die 51-Jährige hat Angst, vergiftet zu werden. Deutsche Ärzte der Berliner Charité hatten Timoschenko in Charkow untersucht und eine Behandlung in Deutschland angeboten, ukrainische Behörden aber lehnten dies ab. Ende vergangener Woche trat die Politikerin in Hungerstreik. Der Strom der schlechten Nachrichten reißt seither für Präsident Wiktor Janukowitsch nicht ab: Ihre Mandantin sei von Gefängniswärtern geschlagen worden, teilten Timoschenkos Anwälte mit. "Ich fürchtete, dies seien die letzten Momente meines Lebens", verkündete die Oppositionsführerin, die bekannt ist für einen gewissen Hang zur Theatralik, auf ihrer Web-Seite.
Timoschenko, die Janukowitsch durch die ihm hörige Justiz hinter Gittern verschwinden lassen wollte, ist zu einem Schatten geworden, der ihm auf Schritt und Tritt verfolgt. Nach dem Urteilsspruch im vergangenen Herbst lud die EU den Paria kurzerhand von einem geplanten Treffen wieder aus. Janukowitsch flog statt nach Brüssel trotzig nach Kuba.
Gaucks Absage aber, die in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt erfolgte, gibt dem Kalten Krieg um Timoschenko eine neue Qualität: Bislang drohten Europas Diplomaten stets nur mit Worten. Nun scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass europäische Spitzenpolitiker einen Bogen um die ukrainischen Spielstätten machen werden - oder zumindest Gastgeber Janukowitsch die kalte Schulter zeigen werden. Der Präsident ordnete am Donnerstag Ermittlungen an zu den Vorwürfen, Timoschenko sei im Gefängnis misshandelt worden.
Auch innenpolitisch agiert der Präsident glücklos. Die Wirtschaft wuchs in den vergangenen Jahren nur um rund vier Prozent - zu wenig, um den Einbruch um 15 Prozent während der Wirtschaftskrise 2009 zu kompensieren. Im Herbst wählt das Land ein neues Parlament, Janukowitschs Partei der Regionen droht dann die Mehrheit zu verlieren. Jüngste Umfragen sehen die Partei bei nur noch 16,6 Prozent, das sind drei Prozent weniger als noch im März. Ein von Timoschenkos Partei "Vaterland" geführtes Bündnis dagegen kann derzeit mit rund 20 Prozent der Stimmen rechnen.
Schon machen Putsch-Gerüchte in Kiew die Runde. Sollte Janukowitsch weiter so erfolglos agieren und die anstehenden Wahlen verlieren, könnten ihn die milliardenschweren Industriebarone fallen lassen. Die Oligarchen kontrollieren die Partei der Regionen und hatten Janukowitsch auf den Schild gehoben, ihre Geduld aber ist endlich. Kolumnisten des angesehenen Nachrichten-Portals "Ukrainskaja Prawda" spielen denn auch schon entsprechende Szenarien durch, unter dem Titel: "Die Ukraine ohne Janukowitsch."