Proteste gegen griechische Regierung Tsipras in der Bredouille
Der Druck auf den griechischen Premier Tsipras ist nach dem Eurogipfel immens: Eine Gruppe Syriza-Abgeordneter will bei der Abstimmung über die geforderten Gesetze mit Nein stimmen. Die Staatsbediensteten kündigen einen 24-stündigen Streik an.
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Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras ringt um Zustimmung für seine Einigung beim Brüsseler Eurogipfel. Er trifft in seinem Land auf erheblichen Widerstand: Die Gewerkschaft der Staatsbediensteten hat für Mittwoch zu einem Streik aufgerufen, die Beamten sollen 24 Stunden lang ihre Arbeit aus Protest gegen die Bedingungen für ein drittes Rettungspaket niederlegen. Auch die Apotheker wollen in den Ausstand treten.
Zahlreiche Abgeordnete des linken Syriza-Flügels haben bereits angekündigt, gegen weitere Sparmaßnahmen bei der Abstimmung am Mittwoch im Parlament votieren zu wollen. Zu der Gruppe gehören bis zu 40 Abgeordnete, heißt es. Syriza hat insgesamt 149 Sitze im Parlament in Athen.
Mit dem Brüsseler Kompromiss konnte Tsipras vorerst eine Staatspleite und einen drohenden Grexit abwenden. Doch nun muss er die Bedingungen für ein drittes Rettungspaket erfüllen, das bis zu 86 Milliarden Euro umfassen soll. Dazu gehören mehrere Gesetze, die erste Schritte zu einer Rentenreform und höhere Mehrwertsteuereinnahmen umfassen.
In der Nacht zum Donnerstag, 16. Juli, verabschiedete das Parlament in Athen eine Reihe von Gesetzen, die die Gläubiger als Bedingung für Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket gemacht hatten:
- Das Mehrwertsteuersystem wird gestrafft, mehrere bisher verminderte Sätze werden angehoben.
- Erste Punkte einer Rentenreform sollen das Rentensystem tragfähiger machen.
- Das griechische statistische Amt Elstat wird rechtlich voll unabhängig.
- Die Regeln des Fiskalpakts sollen nun komplett umgesetzt werden.
Bis 22. Juli sollen weitere Reformen in Griechenland folgen:
- Das Parlament soll eine Zivilprozessordnung verabschieden, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten dafür erheblich zu senken.
- Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll umgesetzt werden.
Bis Oktober 2015 soll eine umfassende Rentenreform verabschiedet sein.
- Vorschläge der OECD zu Produktmarktreformen sollen umgesetzt werden. Dazu gehören die Einführung von verkaufsoffenen Sonntagen und Schlussverkäufen sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb.
- Der Stromnetzbetreiber (ADMIE) soll privatisiert werden.
- Der Arbeitsmarkt soll modernisiert werden, etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen und Massenentlassungen.
- Der Finanzsektor soll gestärkt werden, etwa durch stärkere Durchgriffsmöglichkeiten des griechischen Bankenrettungsfonds und durch die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme.
- Die griechische Verwaltung soll modernisiert werden und ihre Kosten gesenkt werden. Einen ersten Vorschlag dazu soll Athen bis zum 20. Juli 2015 vorlegen.
Die Regierung in Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von griechischem Staatsbesitz an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der das staatliche Vermögen zu Geld macht. Der Fonds würde in Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden unter Aufsicht der europäischen Einrichtungen verwaltet.
So sollen auf lange Sicht etwa 50 Milliarden Euro Einnahmen entstehen. Die Hälfte davon würde zur Rückzahlung jener 25 Milliarden Euro verwendet, die aus Hilfsgeldern in die Bankenrettung fließen sollen. Weitere 12,5 Milliarden Euro sollen anderweitig zur Schuldentilgung verwendet werden. Die letzten 12,5 Milliarden Euro sind dagegen für Investitionen in Griechenland vorgesehen.
Abgesehen von neuen Krediten erhält die griechische Regierung lediglich die vage Aussicht auf weitere Schuldenerleichterungen. Sollte sich bei einer ersten Überprüfung des griechischen Reformprogramms herausstellen, dass die Regierung die Vorgaben umgesetzt hat, werde man, falls nötig, weitere Maßnahmen erwägen. Erwähnt werden etwa längere Rückzahlungsfristen für die gewährten Kredite.
- Am Montagabend hatte bereits der zu dem Linksflügel gehörende Vize-Außenminister Nikos Chountis die Konsequenzen gezogen - er trat zurück. Er räumte auch seinen Parlamentssitz, wie das griechische Fernsehen berichtete.
- Zu den Ressortchefs, die gehen sollen, gehören den Berichten zufolge auch Energieminister Panagiotis Lafazanis und der Minister für Soziales, Dimitris Stratoulis. Sie gelten als die Anführer des Linksflügels bei Syriza.
Er habe in den Verhandlungen mit den Partnern im Ausland hart gekämpft, hatte Tsipras noch in Brüssel betont. Er werde nun im Inland ebenso hart kämpfen, damit die Gipfelbeschlüsse umgesetzt würden. "Griechenland braucht tiefgreifende Reformen."
Im Video: "Tsipras hat das Volk betrogen"
Drei mögliche Szenarien
Seit dem frühen Dienstagmorgen sitzen die Abgeordneten von Syriza zusammen, gleichzeitig treffen sich die Parlamentarier des Koalitionspartners Anel ("Unabhängige Griechen"). Eine Sprecherin der rechtspopulistischen Partei sagte am Morgen, es gebe "Grenzen" für Anel, die Regierung zu unterstützen. Aber generell wolle man weiter für die Regierung eintreten. Das deutet daraufhin, dass der Bündnispartner die Gesetze nicht mittragen, aber dennoch erst einmal Teil der Regierung bleiben will - ein Wischiwaschi-Kurs, der für Tsipras bedeutet, er muss sich bei umstrittenen Gesetzentwürfen auf die Opposition stützen.
In den griechischen Medien werden nun drei mögliche Szenarien diskutiert, wie der Premier weiter machen könnte:
1. Kabinettsumbildung: Syriza und Anel regieren weiter, Tsipras ersetzt einige Minister. Seine Koalition ist bei unpopulären Gesetzentwürfen immer auf die Stimmen der Opposition angewiesen. (Lesen Sie hier mehr zu den Hintergründen.)
2. Übergangsregierung: Diese verwirklicht die Brüsseler Einigung und setzt noch in diesem Jahr Neuwahlen an. Dies hatte der griechische Arbeitsminister und Tsipras-Vertraute Panos Skourletis am Montag vorgeschlagen.
3. Eine breite Koalition: Tsipras geht auf die Oppositionsparteien zu. Die konservativen Nea Dimokratia, die sozialistische Partei Pasok und die neue wirtschaftsliberale Partei To Potami gründen ein gemeinsames Bündnis - für ein bis zwei Jahre. Dieses Szenario gilt als eher unwahrscheinlich.
Im Fall 2 und 3 müsste Tsipras sein Amt als Premier zur Verfügung stellen.
Hier einige Stimmen aus der griechischen Presse im Detail:
- Die linksliberale Zeitung "To Ethnos" macht mit der Überschrift "Die Regierung und Syriza im Minenfeld" auf. Das Blatt kündigt eine Kabinettsumbildung an.
- Die konservative Tageszeitung "Kathimerini" schreibt von einer Bewährungsprobe für Tsipras' Regierung. "Kathimerini" zufolge wird der Premier rund 40 Stimmen seiner Fraktion bei der Abstimmung über die Gesetzentwürfe im Parlament verlieren. Anel-Chef und Verteidigungsminister Panos Kammenos werde Tsipras unterstützen - trotz mehrdeutiger Ankündigungen. Doch es sei zweifelhaft, wie lange Kammenos seine eigenen Abgeordneten noch überzeugen könne, in der Koalition zu bleiben. Die Zeitung kritisiert zudem Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis und andere Mitglieder des Linksflügels von Syriza, die nach Meinung des Blattes auf einen Grexit zusteuern würden. Tsipras sei der einzige, der die Nein-Fraktion noch überzeugen könne, Griechenland im Euro zu halten. Die Zeitung schlägt eine Übergangsregierung für etwa zwei Jahre vor, unter Einbindung von Technokraten, welche die Lage in Griechenland stabilisieren und dann Neuwahlen anstreben solle.
- Die Syriza-Zeitung "Avgi" betont auf ihrer ersten Seite: "Unsere Gegenwart wird soziale Gerechtigkeit garantieren". Tsipras werde Premier, Syriza der bestimmende Faktor in jeglicher künftigen Regierung bleiben.
- Die linke Zeitung "Efimerída ton Syntaktón" hat die Schlagzeile "Schwindel" gewählt und analysiert, wie Tsipras und seine Regierung neue Verbündete suchen und sich in der Syriza-Partei die Spar-Befürworter und -Gegner streiten. Das Blatt spricht von 25 Abgeordneten, die Tsipras die Gefolgschaft verweigern.
- Das rechte Blatt "Eleftheros Typos" hat seine Titelseite geteilt: Auf der linken Seite steht "Ein Sturm in Maximos", damit ist die Villa Maximos, der Amtssitz des griechischen Premiers gemeint. Die Zeitung schreibt, die Koalition stehe kurz vor einem Bruch. Auf der anderen Seite thematisiert das Blatt den Vorstoß von Varoufakis, der zusammen mit Experten untersuchen wolle, wie Griechenland wieder die Drachme einführen könne.
- Die Wochenzeitung "Proto Thema" titelt "Nach Schäuble kämpft Tsipras nun mit Syriza". Wie das Blatt in seiner Online-Ausgabe schreibt, lehnt Tsipras ein breites Bündnis mit den Oppositionsparteien ab, weil beide Seiten dies ablehnen würden. Hintergrund ist, dass die Opposition will, dass Tsipras derjenige ist, der mit seinem Namen für die Sparpläne steht - und nicht ein neuer Übergangspremier aus ihren Reihen.
Mindestens bis einschließlich Mittwoch bleiben die Banken in Griechenland noch geschlossen. Bis Donnerstag bleibt auch die Liquiditätshilfe der EZB einem Pressebericht zufolge auf dem derzeitigen Niveau eingefroren. Derzeit liegt die Höchstgrenze für diese Ela-Notkredite bei knapp 90 Milliarden Euro.
Zusammengefasst: Der Widerstand gegen den griechischen Premier Alexis Tsipras wächst, er muss den Kompromiss des Eurogipfels umsetzen. Doch bis zu 40 Syriza-Abgeordnete wollen bei der Abstimmung über die geforderten Gesetzen mit Nein stimmen. Die Staatsbediensteten wollen streiken.