Gauck bei Obama Sieben Minuten Schmeichelei für den Romantiker
US-Präsident Obama hofiert den Bundespräsidenten im Weißen Haus. Der Empfang ist auch ein Signal an Berlin: Ihr seid wichtig - aber bitte hört endlich auf, über die transatlantischen Beziehungen zu nörgeln.
Man kann als Bundespräsident 75 Jahre alt werden, zwei Diktaturen erlebt haben - und sitzt dann doch auf einem dieser orangefarbenen Ledersessel im Oval Office wie ein Schuljunge. Von der "Erfüllung eines Lebenstraums" sprach Joachim Gauck am Vorabend mit Blick auf das Treffen mit US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus. Genau so sieht das deutsche Staatsoberhaupt nun auch aus neben dem mächtigsten Mann der Welt: ehrfürchtig.
Obama empfängt den Bundespräsidenten am Mittwoch in seinem Allerheiligsten. Hier dürfen sonst nur die ganz Großen der Weltpolitik Platz nehmen. Und er hat sich ordentlich vorbereitet auf seinen Gast. Fast sieben Minuten nimmt sich Obama vor dem eigentlichen Gespräch mit Gauck Zeit, um den Bundespräsidenten vor den Kameras und Mikrofonen zu würdigen. Er spricht über die Rolle Gaucks in der späten DDR und als Chef der Stasi-Unterlagenbehörde - und "von der großen Ehre", ihn hier begrüßen zu dürfen. Dass er ein bisschen unterkühlt wirkt an diesem Mittwochmittag, mag vielleicht auch an den Krisen liegen, die ihm gerade zu schaffen machen. Afghanistan, vor allem aber Syrien.
Umso bemerkenswerter, wie viel seiner kostbaren Zeit er für den Bundespräsidenten opfert: eine gute Stunde sitzen die beiden insgesamt zusammen, deutlich länger als geplant. Anschließend isst sein Vizepräsident Joe Biden mit Gauck zu Mittag, dann gibt es ein Treffen mit Außenminister John Kerry.
Wertschätzung Deutschlands in Washington wächst
Das Programm, das Gauck von Obama und seinen wichtigsten Leuten bereitet wird, ist auch ein schönes Signal an Berlin: Die Wertschätzung Deutschlands ist in Washington zuletzt gewachsen. Die Obama-Regierung verfolgt die Rolle Berlins in Europa sehr genau und der Draht nach Deutschland ist für die Amerikaner so wertvoll wie lange nicht mehr. Dieses Europa hat die USA eigentlich immer verwirrt, es gibt in Washington die Redewendung, dass man nie so recht wisse, wen man eigentlich anrufen solle, wenn man etwas über Europa erfahren wolle. Das hat sich geändert.
Ob Flüchtlingskrise, Schuldendebatte oder Griechenland-Streit - über Berlin bleibt die Obama-Regierung im Bilde über die Entwicklungen jenseits des Atlantiks. Der Präsident telefoniert mit der Kanzlerin, Minister besuchen sich, man stimmt sich in großen Fragen ab. Und auch den Bundespräsidenten trifft Obama nach seinem Berlin-Besuch im Juni 2013 nun bereits zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren.
Gleichzeitig ist Washington nicht entgangen, dass in Deutschland ernsthafte Zweifel an der Stabilität des transatlantischen Verhältnisses bestehen, auch Gauck thematisierte das in seiner Rede in Philadelphia.
Unter vielen Deutschen hat in den vergangenen Jahren eine Entfremdung stattgefunden, die USA sind insbesondere für die jüngere Generation nicht mehr jener Sehnsuchtsort, der sie einmal waren. Auch der Blick des Amerika-Romantikers Gauck auf die USA hat sich ja in den letzten Jahren eingetrübt. Umfragen belegen regelmäßig das inzwischen recht distanzierte Verhältnis der Deutschen zu den USA. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Breitbeinigkeit, mit der Amerikaner gerade zu Beginn des Jahrtausends international auftraten, gehört ebenso dazu wie die jüngste Überwachungsaffäre rund um die NSA.
Diagnose der USA: Beziehung zu Deutschland ist gesund
Gauck wollte das NSA-Thema unbedingt ansprechen im Weißen Haus - Obama, so heißt es von Teilnehmern des Treffens, habe ein wenig Einsicht aufblitzen lassen. Ja, sicher. Das mit der Überwachung hätte man vielleicht etwas vornehmer regeln können. Aber ansonsten halten viele Amerikaner das German Genörgle über die Abkühlung der deutsch-amerikanischen Freundschaft für überflüssig.
Die Diagnose, die die Amerikaner dem deutschen Patienten geben, lautet: Die Beziehung ist gesund. So ähnlich soll sich Obama auch im Gespräch mit dem Bundespräsidenten geäußert haben. Und man würde sie sogar gerne intensivieren.
Auch ganz konkrete politische Fragen soll Obama hinter verschlossenen Türen angesprochen haben, ist zu hören. Syrien, Iran, die Flüchtlingskrise in Europa. Die Botschaft Obamas: Seine Regierung wünscht sich von Deutschland noch mehr Engagement als bisher.
Das gilt freilich auch in der Gegenrichtung: In der Flüchtlingskrise sähe der Bundespräsident gerne mehr Engagement von den USA. Immerhin sei Amerika mit seiner Politik der vergangenen Jahre ja nicht ohne Verantwortung für die desolate Situation im Nahen Osten, sagte Gauck in Philadelphia.
Dass ausgerechnet ihm die Ehre zuteil wird, als erster Bundespräsident nach 18 Jahren wieder im Weißen Haus empfangen zu werden, ist natürlich auch eine hübsche Geschichte. Seit seiner Ankunft in Philadelphia am Montag ist Gauck in gewisser Weise von einem Ausnahmezustand in den nächsten getaumelt. Die Liberty-Bell in Philadelphia, seine Rede an der University of Pennsylvania, der Besuch des Lincoln-Memorials in Washington - hier ist ein Bundespräsident zu Besuch in den USA, dem dieses Land so viel bedeutet wie wohl noch keinem seiner Vorgänger.
Nach dem Treffen mit Obama sagt er: "Alles, was ich hier erlebe, ist hoch emotional."
Und einen kleinen Erfolg darf Gauck auch mit nach Hause nehmen. Obama habe dem Bundespräsidenten immerhin zu verstehen gegeben, so ist es nach dem Gespräch zu hören, dass Europa die Lasten der Flüchtlingskrise nicht alleine tragen dürfe.