Anruf in der umkämpften Kurdenstadt Hilfeschrei aus Kobane
Die Schlacht um Kobane tobt. Kurdische Kämpfer halten den Ort, trotz ständiger IS-Attacken. Sie klagen: Zu selten kommen die Luftangriffe der Amerikaner. Verzweifelt werden Waffen aus dem Westen gebraucht. Anruf in einer wankenden Stadt.
Kobane - Idris Nassan sagt, dass er immer den Himmel über Kobane im Auge behält - ob sich vielleicht doch noch ein paar US-Kampfjets sehen lassen? "Wir hoffen, dass sie kommen", sagt er SPIEGEL ONLINE am Telefon. Idris Nassan ist Sprecher der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), die die Stadt gegen die Radikalen verteidigen. Er harrt in Kobane (Arabisch: Ain al-Arab) aus. Es ist ein verzweifelter Kampf, an mehreren Fronten greifen die Radikalislamisten der Miliz "Islamischer Staat" (IS) an.
"In dieser Nacht sind die Kampfjets gar nicht gekommen", sagt Nassan. Wie so oft. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums fliegt die amerikanische Luftwaffe pro Tag rund ein Dutzend Angriffe auf IS-Stellungen im Irak und in Syrien - eine Fläche größer als die Niederlande und Belgien zusammen. Aber nur jeden zweiten oder dritten Tag werden IS-Positionen bei Kobane angegriffen. So berichtet es der Augenzeuge.
Doch das reicht nicht. "Die Luftangriffe zerstören einen Teil ihrer Truppen und Waffen, aber sie haben immer noch genug, um uns mit Macht anzugreifen", sagt Idris Nassan über die Radikalen.
Denn der IS hat sich auf die Bombardierungen inzwischen eingestellt, das bestätigt das US-Verteidigungsministerium. Die Dschihadisten tarnen ihre Waffen und verstreuen ihre Kämpfer, damit immer nur wenige bei einem Angriff umkommen, sagt Idris Nassan.
Washingtons Partner am Boden tun sich schwer
Der US-Generalstabschef Martin Dempsey betont immer wieder, dass der IS nicht allein aus der Luft geschlagen werden kann. Washington will keine eigenen Truppen am Boden einsetzen. Das Pentagon hofft stattdessen, dass am Boden die einheimischen Verbündeten stark genug sind, um die Radikalen zurückzudrängen. Doch in Kobane tun sich die kurdischen Kämpfer damit schwer.
Vom Westen, Süden und Osten sind IS-Kämpfer bis auf wenige Kilometer Entfernung an den Ort herangerückt. In manchen Stadtteilen schlagen immer wieder ihre Mörsergeschosse ein. Rund einen Kilometer östlich des Orts haben sie schon ein freistehende Gehöft unter Kontrolle - über dem Gebäude weht die schwarze Flagge des IS. Im Norden Kobanes liegt die türkische Grenze. Dort steht das Militär der Türkei, greift aber nicht ein.
"Die Luftangriffe sind hilfreich, aber sie reichen nicht aus", sagt Nassan: "Wir brauchen mehr Unterstützung. Wir brauchen jeden Tag Luftangriffe, jede Stunde! Und wir brauchen auch Unterstützung am Boden." Kobane bräuchte europäische und amerikanische Waffenlieferungen.
Die Kämpfer von Kobane wollen bessere Waffen
Denn an geschultem Personal fehlt es in der umkämpften Stadt nicht, im Gegenteil. "Wir haben gute Scharfschützen, aber wir haben keine schweren Waffen", sagt der syrische Kurde. Anders sieht es beim Gegner aus. Die IS-Kämpfer verfügen über Panzer, Mörser, Haubitzen, Maschinengewehre und moderne Geländefahrzeuge, die sie von der irakischen und syrischen Armee erobert haben.
Doch auf Waffenlieferungen brauchen Idris Nassan und die anderen Verteidiger der Stadt vorerst nicht zu hoffen. Im Irak unterstützen Europa und die USA die kurdischen Peschmerga-Kämpfer. Berlin etwa liefert an diese Waffen und bildet sie in Deutschland aus.
Kobane jedoch wird verteidigt von der YPG, dem syrischen Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Sie wird von der Europäischen Union und den USA als Terrororganisation eingestuft. Im Irak wurden bisher Waffenlieferungen an PKK-Kämpfer abgelehnt, auch wenn diese sie gegen den IS einsetzen wollten.
Nassan und Co. bleiben vorerst also auf sich allein gestellt. Am Mittag wurde bekannt, dass sie trotz der fehlenden Unterstützung aus dem Westen ihre Stadt gegen die Angriffswellen des IS halten konnten. Bis auf 200 Meter seien die Islamisten an die Stadtgrenze herangekommen, dann konnten sie zurückgedrängt werden.
Vorerst können Kobanes Verteidiger also noch hoffen. Hoffen, dass ihre Abwehr hält. Hoffen, dass doch noch von irgendwo Waffen geliefert werden. Hoffen, dass die Kampfjets kommen.