Malaysia-Airlines-Katastrophe "Das wird sie teuer zu stehen kommen"
Kommen jetzt noch schärfere Sanktionen gegen Russland? Der mutmaßliche Flugzeug-Abschuss in der Ukraine verschärft den Konflikt zwischen Moskau und dem Westen. In den USA wächst die Wut.
Das ist passiert:
- In der Ukraine ist eine Boeing 777 der Malaysia Airlines abgestürzt. Der Jet wurde vermutlich abgeschossen.
- Die ukrainische Regierung und prorussische Separatisten weisen sich gegenseitig die Schuld zu.
- Flug MH17 war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. An Bord waren 298 Menschen. Die meisten Passagiere waren Niederländer. Unter den Opfern sind vier Deutsche.
- Der Luftraum über der Ukraine ist nun geschlossen.
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Das wird nun vorbei sein, seit Donnerstag hat sich die Lage geändert. Und das könnte für Wladimir Putin noch zu einem großen Problem werden.
Der Absturz - und mutmaßliche Abschuss - einer Boeing 777 der Malaysia Airlines über dem Osten der Ukraine bringt die Krise zurück ins Zentrum amerikanischer Sicherheitspolitik. 298 Menschen sind tot. Darunter wohl mindestens 154 Niederländer und vier Deutsche; das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte diese Angabe nicht. Auch die US-Regierung hält sich bislang bedeckt über die vermuteten knapp zwei Dutzend US-Opfer. Ukrainische Behördenvertreter sprechen von 23 Toten aus den Vereinigten Staaten.
Indizien sprechen dafür, dass prorussische Kämpfer für den Absturz verantwortlich sind. Sie hielten Flug MH17 möglicherweise für ein ukrainisches Militärtransportflugzeug.
Noch habe man nicht alle Fakten, erklärte Josh Earnest, der Sprecher des US-Präsidenten, aber man wisse doch, dass all dies geschehen sei "im Kontext der Ukraine-Krise, die von Russlands Unterstützung für die Separatisten befeuert wird - etwa durch Waffen, Ausrüstung und Training".
Gleich nachdem die ersten Meldungen Washington in der Mittagszeit erreichten, begannen die Amerikaner mit der Überprüfung ihrer Satellitendaten. Das umkämpfte Gebiet in der Ostukraine steht seit Monaten unter besonderer Beobachtung.
Barack Obama, unterwegs im Ostküstenstaat Delaware, sprach zunächst noch von einer "furchtbaren Tragödie" - dann machte er mit seiner vorbereiteten Rede zur wirtschaftlichen Lage weiter. Am späten Nachmittag ziehen die US-Geheimdienste und -Militärs erste Schlussfolgerungen aus dem vorliegenden Datenmaterial. Mehrere Medien berichten unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Boeing 777 sei von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden. Ein militärischer Aufklärungssatellit lieferte laut "New York Times" die entscheidenden Hinweise, die für einen Abschuss der Maschine sprechen.
US-Vizepräsident Joe Biden sagte nun, "offensichtlich" sei das Flugzeug "abgeschossen worden, das war kein Unfall". Man arbeite jetzt jede Minute daran, Klarheit zu bekommen und habe der Ukraine Unterstützung angeboten. Die habe Kiew angenommen. Schon mühen sich Experten beider Länder, die genaue Flugbahn des mutmaßlichen Geschosses zu analysieren, um den Startort bestimmen zu können. Außerdem senden die USA ein Ermittler-Team in die Ukraine. Es sei wichtig, der Sache auf den Grund zu gehen, sagt Biden: "Wegen des möglichen Nachspiels besser früher als später."
Das mögliche Nachspiel - das sind die Konsequenzen, die der Absturz für die Separatisten, aber eben auch für Russland haben kann. Gerade am Mittwoch erst haben Amerikaner und Europäer ihre Russland-Sanktionen verschärft, doch vor Maßnahmen gegen ganze russische Wirtschaftszweige ist Obama bisher zurückgeschreckt. Bisher.
Das könnte sich nun ändern. Die Spannungen zwischen Obama und Putin, soviel ist klar, werden zunehmen. Das linksliberale US-Magazin "The New Republic" kommentiert die Rolle des russischen Präsidenten in der Ostukraine: "Putin hat etwas angestoßen, das er nicht mehr stoppen kann." Er habe eine gefährliche Kraft von der Leine gelassen, die er jetzt nicht mehr kontrollieren könne. Der Konflikt sei nun "außer Kontrolle".
"Das wird sie teuer zu stehen kommen"
Schon machen US-Abgeordnete und Senatoren Druck. Da ist, natürlich, Republikaner-Falke John McCain; er war mal wieder der Erste. Sollten die Separatisten oder Russland verantwortlich sein, sagte also der US-Senator, "dann wird sie das teuer zu stehen kommen". McCain fordert nicht nur schärfere Sanktionen, sondern auch die Lieferung von Defensivwaffen an die ukrainische Armee. Bisher haben die USA nur sogenannte nicht-letale Unterstützung gewährt, etwa Essenspakete oder Schutzwesten.
Im Laufe des Nachmittags wuchs die Empörung der Parlamentarier. Der demokratische Abgeordnete Elliott Engel aus dem Auswärtigen Ausschuss bezeichnete den möglichen Abschuss des Passagierjets als "Terror-Akt". Die Weltgemeinschaft solle zusammenkommen, um eine entschiedene Antwort zu geben. Was Putin tue, das sei "sehr gefährlich", sagte Engel dem US-Magazin "The Daily Beast". Wenn Russlands Präsident irgendetwas mit dem Absturz zu tun habe, dann müssten schärfere Sanktionen her.
Laut "New York Times" untersucht man im US-Verteidigungsministerium nun diese möglichen Szenarien:
- Haben prorussische Separatisten mithilfe russischer Berater ein jüngst von der ukrainischen Armee erbeutetes Buk-Flugabwehrsystem bedient?
- Oder haben die Russen die Separatisten in der Ukraine überhaupt erst mit dem Waffensystem versorgt?
- Oder haben russische Soldaten jenseits der ukrainischen Grenze die Boeing fälschlicherweise für ein Militärflugzeug gehalten und eine Rakete abgefeuert?
In Amerika nehmen sie die Welt als zunehmend chaotisch war. Der Atomkonflikt mit Iran, der Vormarsch der Radikalislamisten im Irak, Syriens Bürgerkrieg und jetzt neuerlich die Krise in der Ukraine: Entgleiten dem US-Präsidenten die Dinge? Demonstriert er zu wenig Führungsstärke? Die Kritik auf konservativer Seite nimmt zu.
"Washington Post"-Kolumnistin Jennifer Rubin empört sich am Donnerstag darüber, dass Obama mit Blick auf den Flugzeugabsturz nur von einer "Tragödie" gesprochen habe. Denn es handele sich doch keineswegs um eine Art Naturkatastrophe: "Das ist das Ergebnis russischer Aggression und die Folge des Versagens des Westens, Russlands Vormarsch zu stoppen und seine Handlanger aus der Ukraine herauszudrängen."