EU-Gipfel zu Spionage Merkels heikle Handy-Diplomatie
Die Kanzlerin muss in Brüssel Entrüstung über die Handy-Affäre zeigen, sie will die Amerikaner aber nicht verschrecken. Abhilfe schaffen soll nun eine deutsch-französische Arbeitsgruppe zur Spionage - es ist noch unklar, was das Ziel ist.
Geht es nach Angela Merkel, muss man sie gar nicht anrufen. Jeder, der dies tue, "hört im Grunde immer das Gleiche", sagt die Bundeskanzlerin. Merkel sitzt im roten Jackett vor Journalisten, viertel nach eins nachts, es ist das Ende eines sehr langen Gipfeltages in Brüssel, mal wieder, obwohl doch gerade keine "akute Krise" herrscht, so Merkel. Sie meint die Euro-Krise, die ein wenig abgeflaut ist.
Doch die Handy-Krise hat gerade erst begonnen - und verlangt von Merkel einen Spagat wie sonst nur die kompliziertesten Euro-Rettungspakete.
Die Kanzlerin muss wütend genug wirken, zu groß ist der Aufruhr in Deutschland und Europa. Aber sie will auch nicht so zornig auftreten, dass sie Deutschlands wichtigsten Partner, die Vereinigten Staaten, öffentlich bloßstellt.
Die nonchalante Bemerkung über den fraglichen Wert der Kommunikation mit ihr ist nur eine Facette dieser delikaten Handy-Diplomatie. Die Mitgliedstaaten hätten ihre "gemeinsame Sorge" über die US-Aktivitäten zum Ausdruck gebracht, versichert die Christdemokratin, das Vertrauen sei erschüttert. Aber: Dieses Vertrauen solle auch rasch wieder aufgebaut werden, Europa und die USA seien schließlich Partner.
So geht es weiter: Regeln und Respekt müssten auch bei Geheimdiensten gelten, sagt Merkel streng. Daher will sie gemeinsam mit dem französischen Staatschef François Hollande im Auftrag der 28 EU-Staaten bis Ende des Jahres mit den USA in bilateralen Gesprächen einen Rahmen für die Geheimdienstarbeit vereinbaren.
Merkels Pirouetten
Doch aus Protest die Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit den USA aussetzen? Nicht mit Merkel. "Wer rausgeht, muss auch wissen, wie er wieder reinkommt." Vielleicht seien die Verhandlungen jetzt wichtiger denn je.
So gehen die Pirouetten weiter: "Transatlantische Freundschaft ist keine Einbahnstraße, auch die Amerikaner brauchen Freunde." Aber wie Obama am Telefon genau auf die Vorwürfe reagiert habe? "Ich werde nicht aus vertraulichen Gesprächen zitieren", so Merkel knapp.
Die delikate Handy-Diplomatie der Kanzlerin zeigt das Dilemma dieses EU-Gipfeltreffens auf. Denn dass "Ausspähen unter Freunden gar nicht geht", wie Merkel bei ihrer Ankunft in Brüssel sagte, darin sind sich die Regierungschefs offiziell einig. Hollande beschwerte sich diese Woche persönlich bei US-Präsident Barack Obama über Abhöraktionen gegen französische Bürger. Italiens Premier Enrico Letta hat gerade im Gespräch mit US-Außenminister John Kerry gegen angebliche US-Spionage protestiert. Und Belgiens Premier Elio di Rupo - dessen staatlicher Telefonanbieter Belgacom laut SPIEGEL-Informationen vom britischen Geheimdienst geknackt wurde - sagte: "Dieses systematische Ausspionieren ist nicht hinnehmbar."
Aber wird so viel Entrüstung dazu führen, dass die EU neue Datenschutzabkommen beschließt? So gut wie sicher nicht.
Tauziehen um Datenschutz
Denn die Staats-und Regierungschefs werden im Abschlusspapier ihres Gipfeltreffens keine Aufforderung an ihre Fachminister aufnehmen, endlich Ernst zu machen mit der Umsetzung der geplanten Datenschutzverordnung - die EU-Justizkommissarin Viviane Reding "Europas Unabhängigkeitserklärung" nennt.
Das EU-Parlament drängt darauf, es hat am Montag erst die Aussetzung des Swift-Abkommens zur Übermittlung europäischer Bankdaten gefordert. "Wir brauchen jetzt den politischen Willen, mehr Datenschutz in Europa einzuführen", sagte der christdemokratische Europaabgeordnete Manfred Weber. Jan Philipp Albrecht, grüner EU-Parlamentarier, wies Zweifel zurück, eine Datenschutzverordnung könne nicht mehr vor den Europawahlen im Mai 2014 gelingen: "Natürlich ist dies zu schaffen, wenn man nur will." Die Handy-Affäre sei der Anstoß, den die Datenschutzinitiative brauche, heißt es auch aus Kommissionskreisen.
Aber die Mitgliedstaaten zögern. Vor Merkels Handy-Affäre wollten die Staats-und Regierungschefs den Datenschutz auf die lange Bank schieben. Wird sich dies unter dem Druck der Ereignisse ändern? "Ich kann es nicht versprechen", sagt Merkel. Hochkomplex, kompliziert und problematisch seien die geplanten Vorschriften, heißt es aus Deutschland, aber auch aus anderen EU-Staaten wie Großbritannien. Die nationalen Verwaltungen hängen an ihren jeweiligen Datenschutzvorgaben.
Mehr EU-Datenschutz bis 2015, wie nun avisiert, klingt wie ein Kompromiss. Aber es ist eine Verschiebung ins Ungewisse. Im kommenden Jahr endet die Amtszeit der Europäischen Kommission, bereits im Mai konstituiert sich ein neues EU-Parlament. "Diese Verschiebung ist ein Sieg für US-Internetfirmen", heißt es aus europäischen Delegationskreisen, als noch nichts Offizielles verkündet ist. Aber das wussten die Amerikaner da wahrscheinlich schon, NSA sei Dank.