Werben für Militärschlag Obamas letzter Trumpf
Mit einer Rede an die Nation will US-Präsident Obama die Zweifler an seiner harten Syrien-Linie überzeugen. Doch die Chancen sind verschwindend gering: Im Kongress verhärtet sich der Widerstand gegen einen Militäreinsatz.
Barack Obama redet sich gerne aus der Affäre. Finanzkrise, Rassismus, Terrorismus: Es gibt kein Reizthema, das der US-Präsident nicht mit geschliffener Rhetorik entschärft hätte. Schon sein Aufstieg begann ja mit einer Rede, beim Wahlparteitag der Demokraten im Juli 2004.
Auch jetzt knüpft Obama sein Schicksal wieder ans gesprochene Wort. Auf dem Höhepunkt seiner schwersten Krise wird er am Dienstag mit einer Rede an die Nation um Zuspruch für einen Militärschlag gegen Syriens Regime werben: Er wolle seine Argumente "so gut wie möglich" ausbreiten, "vor dem amerikanischen Volk wie der internationalen Gemeinschaft".
Das Dumme: Seit einer Woche argumentiert er ja schon - daheim, weltweit und bisher meist vergeblich. Seine Hoffnung, beim G-20-Gipfel neue Syrien-Alliierte einzufangen, zerplatzte spektakulär: Russlands Präsident Wladimir Putin, der engste Verbündete des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, ließ ihn ebenso eiskalt abblitzen wie die Bundeskanzlerin.
Also setzt Barack Obama jetzt alles auf die Rede - am Vorabend des 9/11-Jahrestags, ausgerechnet. Sie ist sein letzter Trumpf, die "wichtigste Ansprache seiner Präsidentschaft" überhaupt, wie sie hier bereits prophezeien. In der Tat: Für Obama geht es nicht mehr nur um Syrien, sondern um sein gesamtes politisches Erbe. Wie Vorgänger George W. Bush, der auf ewig vom Irak-Krieg definiert ist, steckt nun auch Obama in der Zwangsjacke der Geschichte.
Widerstand im Kongress wächst
Die Chancen aber, dass der TV-Auftritt noch etwas bewegen kann, sind verschwindend gering. Im Kongress, dessen Segen Obama erbittet, scheint der Widerstand sogar noch zu wachsen: Den einen ist ein begrenzter Einsatz ohne Bodentruppen, wie ihn Obama propagiert, zu wenig - und den anderen zu viel.
Trotz der vielen Top-Secret-Briefings, die das Weiße Haus den Parlamentariern inzwischen gewährt hat. Trotz des bemüht-gedrechselten Resolutionsentwurfs, den der Außenausschuss des Senats verabschiedete. Trotz der sonoren Auftritte von Außenminister John Kerry, der jetzt in einem Essay für die "Huffington Post" erneut für "begrenzte militärische Maßnahmen" plädierte: "Die Kosten des Nichthandelns sind hier viel höher als die Kosten des Handelns."
Statt dessen verhärten sich die Fronten. Vor allem im Repräsentantenhaus, ohne dessen Zustimmung nichts geht. Die Medien machen sich den Spaß, stündlich einen neuen, für Obama widrigen Wasserstand zu vermelden. So zählte ABC News zuletzt 225 erklärte oder "wahrscheinliche" Gegner einer Intervention - genug, um eine solche abzulehnen.
Sprich: Obama muss nicht nur Unentschlossene überreden - er muss Neinsager umstimmen.
Pelosi muss die Partei auf Linie bringen
Dabei wirken seine bisherigen Argumente umso schwächer, je öfter er sie wiederholt. Ein begrenzter Syrien-Einsatz würde kaum zu "großen Veränderungen am Tag danach" führen, gestand ein hoher US-Diplomat am Samstag gegenüber der "New York Times": Der "Zermürbungskrieg" würde "weitergehen".
Ein breiterer Schlag dagegen - oder ein unplanmäßig ausufernder Mini-Schlag - könnte einen Flächenbrand auslösen. Diese Gefahr erkennen nicht nur die anderen Staaten, die Obama die Gefolgschaft verweigern, sondern auch seine Kritiker im Kongress, die darin eine größere Gefahr für die US-Interessen sehen als in mutmaßlichen Chemiewaffen-Massakern.
Da hilft es wenig, dass Wortführer beider Parteien Obama Flankenschutz geben. Allen voran John Boehner, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, und Nancy Pelosi, die dortige Chef-Demokratin. Gerade an Pelosi liegt es nun, die Partei auf Linie zu bringen - eine pikante Aufgabe, stimmte sie 2002 doch gegen den Irak-Krieg: "Wir müssen die Vereinten Nationen und einen multilateralen Ansatz respektieren", sagte sie damals. Jetzt muss sie das Gegenteil vertreten.
Genau da liegt denn auch die Quelle der breiten Ablehnung. Bushs Irak-Desaster wiegt bis heute schwer in den USA. Das spüren viele Abgeordnete dieser Tage am eigenen Leibe - in überwiegend kritischer Wählerpost wie auf turbulenten Bürgerversammlungen zu Hause.
Da spielen sich Szenen ab, die an die bittere Debatte um die Gesundheitsreform 2009 erinnerten. So musste sich der republikanische Senator John McCain, der Obamas Linie stützt, in Arizona als "Verräter" beschimpfen lassen. "Wir haben Sie nicht entsandt, um für uns Krieg zu führen", rief ihm jemand zu. "Wir haben Sie entsandt, um den Krieg zu stoppen."
Unerwartete Koalition der Unwilligen
Der Gegenwind in den Heimatbezirken lässt die Volksvertreter um ihre Zukunft fürchten. Schließlich müssen sich nächstes Jahr alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses sowie 33 der 100 Senatoren zur Wiederwahl stellen - da kann ein Syrien-Votum zum Mühlstein werden.
Syrien führt so nun zu einer ganz neuen, unerwarteten und breiten Koalition: Linke, friedensbewegte Demokraten, libertär-regierungsfeindliche Republikaner und sonst eher kompromissfreudige Zentristen finden darin einen gemeinsamen Nenner. "Wir wollen nicht den gleichen Fehler wie beim letzten Mal machen", sagte der demokratische Abgeordnete Gregory Meeks - nach einem Briefing, das ihn eigentlich überzeugen sollte.
Schon gibt es Anzeichen, dass Obama eine Niederlage im Kongress als Ausrede nutzen könnte, sich von der selbstauferlegten Handlungspflicht zu befreien. "Mich juckt es nicht nach einer militärischen Intervention", sagte er in St. Petersburg. Wenn jemand eine bessere Idee hätte, "dann bin ich dafür offen."