Bundeswehr-Mission in Estland Deutsche Kampfjets in Putins Vorgarten
Seit September patrouillieren vier deutsche "Eurofighter" über dem Luftraum des Baltikums. Dem russischen Militär sollen sie zeigen: Die Nato-Staaten lassen ihre kleinen Partner im Osten nicht im Stich.
Karl Müllner lässt sich von den Kampfjets rechts und links von seinem Flugzeug kaum beeindrucken. Es ist Mittwoch, elf Uhr, als sich von hinten zwei graue "Eurofighter" neben die Regierungsmaschine schieben, der Jet rast auf 10.000 Meter Höhe mit 900 Stundenkilometern in Richtung Estland. Nur vier Meter sind die Kolosse aus Stahl von der Flügelspitze des Regierungsjets entfernt, die Piloten im Cockpit sind gut zu erkennen.
Müllner aber bleibt seelenruhig, trinkt seinen Kaffee aus, macht mit seinem Mobiltelefon ein Foto der beiden deutschen Kampfjets. "Genau so soll das aussehen", sagt der Inspekteur der Luftwaffe, "für ihren Job müssen meine Jungs nah dran sein". Einige Minuten später ist die spektakuläre Air-Show vorbei. Die "Eurofighter" lassen sich zurückfallen, der Regierungsjet geht in den Sinkflug und landet auf der Rollbahn der kleinen Militärbasis Ämari.
Was die Luftwaffen-Piloten über Estland ihrem Chef vorführen, ist ihre neue Mission in Estland: Seit dem 1. September sind in dem baltischen Staat im Auftrag der Nato vier deutsche "Eurofighter" stationiert, zwei weitere stehen für den Ernstfall in Deutschland bereit. Gemeinsam mit zwei anderen Alarmrotten, so nennt man das Team von zwei Kampfjets zur Luftraumkontrolle, sollen die Piloten neben russischen Flugzeugen in dem Luftraum aufsteigen, die sich nicht korrekt identifiziert haben. Aus nächster Nähe stellen die Piloten dann fest, um wen es sich bei dem Eindringling handelt.
Nato-Flieger gegen Putins Provokationen
Ganz neu ist die Mission nicht, seit Jahren übernimmt die Nato das sogenannte "Air Policing" über dem Baltikum, da die Klein-Staaten keine eigene Luftwaffe haben. Nach der Eskalation der Ukraine-Krise aber hat die Allianz deutlich mehr Flugzeuge in die Region entsandt, als Zeichen der Solidarität fürs Baltikum, aber auch als Abschreckung für Wladimir Putin, dem die Balten alles zutrauen. Müllner sagt, man sei bereit, die Unversehrtheit des Nato-Gebiets zu bewahren. Vor allem aber sei die Mission "ein Signal an unsere Nachbarn im Osten, die sich Sorgen machen".
Dass die Russen tatsächlich baltische Staaten angreifen, ist unwahrscheinlich. Trotzdem registrieren die Nato-Piloten seit mehr als drei Jahren eine Zunahme der nicht richtig deklarierten Flüge von russischen Militärmaschinen. Manchmal mögen es Versehen sein, vielleicht aber sind es auch kleine Tests, ob die Allianz die russischen Jets gewähren lässt, und was sich die Nato-Staaten allgemein gefallen lassen. Genau deswegen sollen die vier Jets Flagge zeigen und den Luftraum intensiv kontrollieren.
Noch hat die deutsche Mission nicht richtig begonnen, derzeit läuft eine sogenannte "cold week", es wird nur geübt, unbewaffnet. Ab Montag dann wird es ernst. Zwei der vier "Eurofighter" gehen in maximal 15 Minuten bewaffnet in die Luft, wenn das Nato-Radar verdächtige Flugbewegungen entdeckt. Schießen würden die deutschen Piloten zwar nur wenn sie angegriffen würden. Trotzdem illustriert die Mission, für die 160 Deutsche in Estland stationiert sind, die heikle Stimmung zwischen Nato und Moskau.
Abschreckungsmanöver über dem russischen Vorgarten
Wie oft die deutsche Alarmrotte in den nächsten vier Monaten zum Einsatz kommt, ist kaum abzusehen. Dänemarks Luftwaffe, die die Mission bisher flog, hatte angeblich nur einen Alarm. Im gesamten Gebiet im Osten des Bündnisses aber sollen in den letzten Monaten Dutzende Luftraumverletzungen durch russische Militär-Jets und Bomber registriert worden sein. Auf dem Nato-Gipfel berichtete zudem der finnische Regierungschef von mehr als drei Vorfällen pro Woche. Das Verhalten Russlands sei eindeutig eine Provokation.
Inspekteur Müllner ist da nicht so streng. Als erfahrener Luftwaffenmann kennt er die Eskapaden der Kampfjets schon aus den Zeiten des Kalten Kriegs. Gleichwohl müsse man "Unklarheiten" in Zeiten wie diesen rasch aufklären, auch damit es nicht zu unnötigen Eskalationen kommt. Die Piloten aus Estland, die die Soldaten aus Deutschland unterstützen, sehen das etwas anders - sie sehen ihr Land bedroht. Da nun die Nato den Luftraum besser kontrolliere, fühle er sich "endlich wieder sicher", sagt ihr Chef.
Für Deutschland ist die Operation an der Nato-Ostgrenze, quasi im Vorgarten des Putin-Reichs, politisch durchaus relevant. Als die Ukraine-Krise eskalierte, suchte Berlin eine schnelle Gelegenheit, im Bündnis Flagge und Einsatzbereitschaft zu zeigen. Neben der Aufstockung von deutschem Personal in einem Nato-Planungszentrum in Stettin gehören die vier Kampfjets in Estland deswegen stets zum Katalog, den Berliner Politiker bei Nato-Treffen als "German commitments" aufzählen.
In Ämari bereitet man sich auch deswegen bereits auf einen Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor.