US-Spähprogramm EU-Parlament will auf Spionage-Ausschuss verzichten
Das Europaparlament wollte ein starkes Signal gegen Schnüffelattacken aus den USA setzen - doch am Ende wird wohl nur eine Mini-Resolution dabei herauskommen. Der erwogene Sonderausschuss ist vorerst vom Tisch.
Berlin/Straßburg - Das Europaparlament will vorerst keinen neuen Ausschuss zur Untersuchung des NSA-Skandals installieren. Stattdessen soll der hauseigene Innenausschuss mit einer Prüfung der Spionagevorwürfe beauftragt werden. Darauf einigten sich die Fraktionen im EU-Parlament am Dienstag. Offiziell abgestimmt werden soll darüber am Donnerstag. Die Idee eines separaten Sonderausschusses ist damit fürs Erste vom Tisch.
Im vorläufigen Entwurf für einen gemeinsamen Entschließungsantrag, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, heißt es:
- Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im EU-Parlament (Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs) soll die US-Spähaffäre beleuchten. Das soll in Zusammenarbeit mit einer Expertengruppe der EU-Kommission und gemeinsam mit den Parlamenten der Mitgliedstaaten geschehen.
- Die Mitglieder sollen einen Überblick aller relevanten Informationen bekommen und untersuchen, inwiefern EU-Bürger von der Datenspionage betroffen sind, auf welcher rechtlichen Grundlage die Geheimdienste agierten und welche nationalen Rechte gegebenenfalls verletzt wurden. Ein Zwischenbericht soll bis Ende des Jahres vorliegen.
Spätestens seit den Enthüllungen vom Wochenende wuchs der Druck auf das EU-Parlament, sich zur Spähaffäre zu positionieren. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) nannte den gigantischen Fall von Datenspionage in einem ARD-Interview eine "Provokation". Am Montag trommelte er Vertreter der vier größten Fraktionen zu einer Sondersitzung zusammen, am Dienstag gingen die Verhandlungen weiter.
Die Positionen gingen zum Teil stark auseinander. So wünschten sich die Grünen etwa ein europäisches Asylangebot für Whistleblower Edward Snowden. Konservative und Liberale stemmten sich dagegen, mit einem Stopp des Freihandelsabkommens zu drohen. Aus der konservativen EVP-Fraktion drangen Bedenken, einen Sonderausschuss einzusetzen, bevor die Vorwürfe offiziell bestätigt wurden. US-Präsident Barack Obama hatte am Dienstag Aufklärung über das Ausspähen von EU-Behörden versprochen.
Späterer Sonderausschuss nicht ausgeschlossen
Das Papier in seiner jetzigen Form verurteilt mehrfach das US-Vorgehen beim Prism-Programm. Man ruft die US-Behörden auf, "umgehend und ohne Verzug für Klarheit zu sorgen, volle Aufklärung über das Prism-Programm und ähnliche Datensammel-Programme bereitzustellen und über rechtliche Grundlagen, Dringlichkeit und Verhältnismäßigkeit Auskunft zu geben."
Ähnliche Kritik wird an EU-Mitgliedstaaten, die ähnliche Programme nutzen, geäußert. Auch wird Sorge über die transatlantischen Beziehungen deutlich. Auf konkrete Forderungen bezüglich europäisch-amerikanischer Abkommen im Bankensektor, Datenschutz und Freihandel verzichtete man.
Eine Plenardebatte zu den Aktivitäten des US-Geheimdienstes in Europa ist für Mittwochnachmittag geplant. Über die Resolution soll das Parlament in Straßburg am Donnerstag abstimmen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt ein gesondertes Verfahren zur Einsetzung eines Sonderausschusses gibt. Auf europäischer Ebene gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, per Petition die Einrichtung von Sonderausschüssen anzustrengen.
Das Gremium, das nun wahrscheinlich mit einer Untersuchung beauftragt wird, ist zuständig für den Schutz der Bürgerrechte, Menschenrechte und Grundrechte in der EU. Außerdem beschäftigt sich der Ausschuss mit Datenschutzfragen. Zuletzt hatte das EU-Parlament im Jahr 2001 den sogenannten "Echolon"-Sonderausschuss eingerichtet, der Hinweisen nach einem weltumspannenden Abhörnetz nachging.
Die Bundesregierung beschäftigte sich unterdessen mit dem Asylantrag des Whistleblowers Snowden, der die gigantische Datensammelei enthüllt hatte. Am Wochenende soll eine deutsche Delegation in die USA reisen, um Aufklärung zu erhalten. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will zudem mit US-Präsident Barack Obama telefonieren. Am Mittwoch befasst sich das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags mit den Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes.
Mit Material von Reuters, dpa, AFP