Außenpolitik im US-Wahlkampf Weltmacht ohne Plan
Die beiden Bewerber um das wichtigste Amt der Welt sollten in Florida über Außenpolitik diskutieren. Doch die blutleere Debatte zwischen Romney und Obama illustriert vor allem eines: Amerika schaut nach innen - zu seinem eigenen Schaden.
Ed Luce, weiser Kolumnist der "Financial Times", kennt sich als Brite mit dem Untergang von Weltmächten aus. Weil er Amerika liebt, versucht Luce den Amerikanern liebevoll Ratschläge zu geben, gerade mit einem Buch, das den neckischen Titel trägt "Time To Start Thinking" - Zeit, das Denken anzufangen. Das Werk ist ein 320-Seiten-Appell an die USA, sich den strategischen Herausforderungen der Zukunft und einer veränderten Welt endlich zu stellen - damit Amerikas Abstieg bloß ein Schreckensszenario bleiben möge.
Nach der 90 Minuten langen US-Präsidentschaftsdebatte zur Außenpolitik bleiben viele Fragen offen, aber eine ist geklärt (Lesen Sie hier im Minutenprotokoll, wie die Debatte ablief): Weder Präsident Barack Obama noch Herausforderer Mitt Romney haben Luces Buch gelesen.
Denn Zeit zum Nachdenken ließen beide Bewerber um das wohl mächtigste Amt der Welt weder sich noch den Zuschauern, schon gar nicht über neue Herausforderungen für die schwankende Weltmacht Amerika - wie den Klimawandel (seit 1984 erstmals ohne Erwähnung in einer Präsidentschaftsdebatte!), den Aufstieg Asiens, die Investitionslücken der USA in puncto Infrastruktur oder Bildung. Vor allem aber verweigerten sie in Boca Raton die Debatte darüber, wie sich künftig dieser Spagat vollziehen soll: Die Amerikaner wollen nicht, dass ihr Land weiterhin den Welt-Polizisten spielt, möchten aber unbeirrt an Amerikas Ausnahmestellung in der Welt glauben.
Stattdessen trat ein, was Kommentator Luce ebenfalls vorausgesagt hatte: Romney und Obama spielten vorbereitete Plattitüden ab, als seien sie gefangen in einer Weltordnung, die Vorgänger George W. Bush für sie gezimmert hat.
Die Diskussionen der Kandidaten drehten sich um Libyen, um Syrien, um Afghanistan, auch um den Irak, im weitesten Sinne den Nahen Osten. Und natürlich um die Frage, welcher der beiden Politiker früher Israel oder die Truppen besucht hat.
Wenn Obama jemals gehofft hatte, diese Baustellen der Vergangenheit verlassen und sich neuen Aufgaben ("Schwenk gen Asien") zuwenden zu können, so ist diese Hoffnung in den vergangenen Wochen erloschen.
Seit dem Tod des US-Botschafters Christopher Stevens bei einer mutmaßlichen Terrorattacke in Bengasi kann Romney wieder das seltsame Argument in die Kamera aufsagen, zwar sei vieles an Obamas Außenpolitik richtig, das Ergebnis jedoch völlig falsch. Prominentestes Beispiel laut Romney: Das Terrornetzwerk al-Qaida sei keineswegs schwach, sondern weiter stark.
Ein getöteter Botschafter scheint im US-Wahlkampf 2012 die Tötung von Osama Bin Laden und vielen anderen getöteten Top-Terroristen aufwiegen zu können - und so den Krieg gegen den Terror und Amerikas Nahostfixierung in der Endlos-Schleife zu halten.
Das Paradox an dieser Fixierung beider Bewerber ist, dass weder Obama noch Romney echtes Interesse an der Weltregion Islam zeigen. Der Präsident hat sich nach seinen frühen Avancen an die muslimische Welt kaum um Fortschritte dort gekümmert, ernsthaft treibt ihn nur die Bedrohung durch Irans Atomprogramm um. Romneys Programm für die Region wiederum scheint aus bedingungsloser Unterstützung für Israel zu bestehen. Drohnen wollen Demokrat und Republikaner sowieso ungehemmt in den Nachbarländern fliegen lassen.
Sowohl der "Linke" Obama wie der "Rechte" Obama buhlen vielmehr um eine kriegsmüde US-Öffentlichkeit, die vereint ist in der Überzeugung, statt fremder Nationen lieber die eigene wieder aufbauen zu wollen. Das ist verständlich für eine Nation in der Krise. Aber es ist zugleich eine Krise für eine große Nation.
So dauerte es in Florida beinahe achtzig Minuten, bis Obama in der Diskussion um Chinas wachsenden Einfluss wirkungsvoll daran erinnerte, dass auch Amerika wie andere Nationen mehr in seine Zukunft investieren müsse - statt sich dauerhaft und zu horrenden Kosten im Nahen Osten zu verstricken.
Doch zu dem Zeitpunkt hatten die meisten Zuschauer wohl schon ausgeblendet. Auch das spiegelt ein aktuelles amerikanisches Dilemma wider. Die US-Medienlandschaft, fixiert auf Twitter und die Duell-Höhepunkte des langen Wahlkampfes, ist rasch gelangweilt vom großen Ganzen, es wird schlicht weggeklickt (der Autor dieser Zeilen nimmt sich davon keineswegs aus). "Wer sich vor dieser Debatte nicht für Außenpolitik interessierte, wird sich spätestens nach dieser Debatte auch nicht dafür interessieren", tweetete selbst der New Yorker Außenpolitikexperte Peter Beinart noch während des dritten TV-Duells.
Romneys Berater kennen diese Stimmung im Lande. Daher rieten sie ihrem Kandidaten von lauten Attacken oder detaillierten Diskussionen ab. Wichtiger schien ihnen, den vermeintlichen "Kalten Krieger" ("Russland ist unser geopolitischer Feind Nummer Eins") als harmlos und umgänglich zu zeigen. Romney hielt sich daran: So lächelte der Republikaner selbst Obamas starken Angriff, Romneys außenpolitische Ideen steckten wohl in den 1980er Jahren fest, einfach weg.
Der Präsident meinte diesen Satz als hämischen Vorwurf, er brachte ihm neben einigen anderen guten Momenten wohl einen Punktsieg bei den Zuschauern ein. Aber er hinterlässt einen faden Beigeschmack: Denn gegenüber dieser 90 Minuten langen Nabelschau in Boca Raton wirkt die US-Außenpolitik der 1980er Jahre ziemlich weltoffen und modern.