Rede zum Arabischen Frühling Viel Pathos, wenig Pläne
Klare Unterstützung für Reformer im Nahen Osten - aber eine allzu vage Agenda für eine neue US-Außenpolitik: Die arabische Welt wird US-Präsident Barack Obamas Grundsatzrede zur Kenntnis nehmen, Jubel dürfte sie kaum auslösen. Nicht zuletzt wegen der deutlichen Unterstützung für Israel.
Berlin/Washington - Dieser Auftritt war von vornherein ein Risiko. Niemand zwischen Casablanca und Bagdad hatte darauf gewartet, dass Barack Obama eine Grundsatzrede zum Arabischen Frühling hält. Der US-Präsident hat sich trotzdem dafür entschieden - und erläuterte am Donnerstag seine Einschätzungen zu den Umwälzungen in der Region. Obama erklärte, warum diese ein "neues Kapitel" in der Geschichte der amerikanischen Diplomatie nötig machen.
Anzubieten hatte er allerdings vor allem salbungsvolle Worte. Eine historische Rede war es nicht - und das "neue Kapitel" enthält viele Seiten, die schon vor langer Zeit geschrieben wurden.
Aber natürlich können auch diese Worte wirken.
Obama machte seinen Respekt vor den Trägern der Revolten in der arabischen Welt dadurch deutlich, dass er sie ausführlich zitierte: einen Demonstranten in Damaskus, einen Oppositionellen in Bengasi, eine protestierende Frau in Sanaa. Das war pathetisch, aber die USA - und eben diesen Punkt klarzustellen dürfte Obamas Ziel gewesen sein - sehen sich als die moralische Kraft an der Seite all jener, die sich demokratische Zustände und mehr Menschenrechte erkämpfen wollen. Er kritisierte sogar den US-Alliierten Bahrain, wo das Regime Demonstranten niederknüppelt.
Warum keine Erwähnung Saudi-Arabiens?
Kohärent war die Ansprache dennoch nicht. Sie ließ Fragen offen. Warum hat der syrische Präsident Baschar al-Assad Obama zufolge immer noch die Wahl, "einen Wandel anzuführen oder aus dem Weg zu gehen"? Assad hat bereits über tausend Demonstranten töten lassen. Und wie passt das zu Obamas apodiktischen Ausspruch, dass "der Status Quo nicht erhalten bleiben kann"?
Und warum erwähnte der US-Präsident mit keinem Wort die Zustände in Saudi-Arabien, wenn Obama doch anderenorts gleich zwei Mal die Gleichberechtigung der Geschlechter einforderte? Was bedeutet es, wenn die USA Reformen "voll unterstützen"?
Obama traf oft den richtigen Ton. Etwa wenn er betonte, dass die Suche nach Würde und Selbstbestimmung der rote Faden der Aufständischen im Nahen Osten seien. Oder wenn er erklärte, dass die bisherige US-Außenpolitik Prinzipien verfolgt habe, die zwar richtig seien - aber noch keine Mägen füllten oder Jobs schafften. Oder wenn er zusammenfasste, dass die Demonstranten in sechs Monaten mehr erreicht hätten als Osama Bin Laden und al-Qaida in Jahren.
All das stimmt. Nur wissen das die arabischen Bevölkerungen längst selbst.
An diesen Stellen wurde ein Grundproblem der Rede deutlich: Einige Teile sollten die arabische Welt für die USA einnehmen beziehungsweise glaubhaft vermitteln, dass Obama auf der Seite der Demokraten und Herausforderer steht. Andere Passagen waren jedoch nach innen gerichtet: Eine Ansage für die eigene Bevölkerung. Wieder andere waren der Rücksichtnahme auf Partner der USA geschuldet, etwa die Auslassung Saudi-Arabiens. In der Summe war es keine Rede aus einem Guss, sondern der Versuch, es allen recht zu machen.
Spieler und Zuschauer zugleich - ein Spagat
Obama sprach viel über Werte, die seine Regierung vertreten wolle, aber wenig über Methoden oder konkrete Schritte. Er rechtfertigte zum Beispiel die militärische Intervention in Libyen mit bevorstehenden Massakern, leitete jedoch keine Linie, keine Doktrin, keine Regeln für die Zukunft daraus ab. Ganz so, als wolle er sich auch in künftigen Fällen alle Optionen offenhalten. Das wäre legitim. Warum dann aber eine Grundsatzrede ankündigen, wenn man bei Einzelfällen verharrt?
Das Weiße Haus hatte im Vorfeld versucht, die Rede als Obamas Bilanz eines halben Jahres dramatischer Umbrüche im Nahen Osten zu verkaufen. Ein Kommentar von der Seiten-Aus-Linie sollte es werden. Teilweise lieferte Obama das auch - eine Einordnung, die durchaus stimmig war. Zum Beispiel, als er erklärte, die arabischen Staaten hätten zwar schon lange die Selbständigkeit erlangt, die Bürger aber nicht die Freiheit. Oder dass ökonomische Missstände, Korruption und neue Medien treibende Kräfte für die Demonstranten waren.
Aber auch Obama, der Friedensnobelpreisträger, kann nicht Zuschauer und Akteur zugleich sein. Und eben hier lag das Hauptproblem der Rede.
Nichts Neues im Nahost-Teil
Die arabische Welt wird die Ansprache zur Kenntnis nehmen. In Libyen werden die Rebellen sich freuen, weil Obama ihnen weit entgegengekommen ist. In Syrien und im Jemen werden die Demonstranten sich fragen, was es konkret bedeuten soll, dass Obama sich auf ihre Seite stellt. In Ägypten und Tunesien wird man sich über die finanzielle Hilfe freuen. In anderen Ländern können Oppositionelle sich von den USA wahrgenommen, respektiert fühlen und daraus vielleicht Hoffnung schöpfen. Und der eine oder andere Diktator wird womöglich ein wenig mehr Angst bekommen.
Überall jedoch wird es Kritik geben an den Passagen Obamas zum Nahost-Konflikt. Diese fielen für Israel sehr freundlich aus. Den palästinensischen Versuch, sich im September unilateral den Segen der Uno-Vollversammlung für eine Staatsgründung zu holen, kanzelte Obama geradezu ab. Alle anderen Ideen für einen Nahost-Frieden - zwei Staaten, feste Grenzen, Verhandlungslösung - sind seit Jahren feste US-Politik. Nichts Neues also an dieser Stelle: Obama sprach den Konfliktparteien ins Gewissen und ließ die Rolle der USA offen.
Es war keine schlechte Rede. Die Welt weiß jetzt ein etwas genauer, was Barack Obama denkt und fühlt. Aber was die USA in Zukunft tun wollen, bleibt trotzdem schemenhaft.