Kampf um Politik-Fakten Automat, sag mir die Wahrheit!
Im US-Journalismus sind Daten-Nerds auf dem Vormarsch. Sie lieben Diagramme, Statistiken und neuerdings den Truth Teller - einen Automaten, der Politiker-Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Doch der Fakten-Wahn kann ein Problem nicht lösen: die ideologische Spaltung Amerikas.
Die USA sind eine datengetriebene Nation. Kaum ein Polit-Talk ohne den notorisch zugeschalteten Meinungsforscher. Überall poppen Tortendiagramme, Charts und Tabellen auf. Heldin von "Zero Dark Thirty", dem Film zur Jagd auf Osama Bin Laden, ist eine CIA-Analytikerin. Zahlen, Daten, Fakten.
In Buchhandlungen dominieren entsprechende Werke die Auslagen: "Victory Lab" erklärt, wie man mit Hilfe gründlicher Datenanalyse eine Präsidentschaftswahl gewinnen kann. "Naked Statistics" erhebt den richtigen Umgang mit dem Datenwust zur Welterklärung. Und Nate Silver, gefeierter Zahlen-Nerd der "New York Times", der den Sieg Barack Obamas im Voraus berechnete, zeigt, wie man Vorhersagen optimieren kann ("The Signal and the Noise").
Statistik statt Schicksal
Vor einiger Zeit schon hat Google-Chefökonom Hal Varian festgestellt: "Der sexy Job in den nächsten zehn Jahren wird der des Statistikers sein." Kein Wunder, dass sich dieser Spruch auch im Klappentext von "Naked Statistics" findet. Die Macher beschreiben ihre Datenrevolution als uramerikanisches Phänomen: "Wenn es eines gibt, das uns Amerikaner definiert, dann ist es die Überzeugung, unser eigenes Schicksal zu kontrollieren", stellt Zahlenpapst Nate Silver fest. Statistik statt Schicksal. Neuer Star des Hauptstadtjournalismus ist der 28-jährige "Washington Post"-Blogger Ezra Klein ("Ich bin ein langweiliger Nerd, der Charts mag"). Sein sogenannter Wonkblog zerlegt Obamas Reden in Diagramme, liefert Q&As zur Fiskalklippe ("mit absolut allem") oder präsentiert die Charts des Jahres 2012.
Die schöne neue Welt der Objektivität hat nur einen Haken: Trotz scheinbarer Faktenfixierung erleben die USA gegenwärtig eine beispiellose Re-Ideologisierung der Politik. Wie kann das zusammengehen?
Unversöhnlich stehen sich Republikaner und Demokraten gegenüber, das System ist gelähmt. MSNBC (links) und Fox News (rechts) heizen den Konflikt an. Sogar diese Spaltung suchen Amerikas Wissenschaftler exakt zu fassen. "Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo die politische Polarisierung das mathematische Maximum erreicht hat: Der liberalste Republikaner ist noch konservativer als der konservativste Demokrat - das gab es noch nie", sagt Historiker Allan Lichtman von der American University in der Hauptstadt.
Tatsächlich befeuert die Re-Ideologisierung Amerikas Faktenfixierung nur noch weiter. Jüngstes Beispiel ist der sogenannte Truth Teller der "Washington Post", eine Art Wahrheitsautomat im Internet: In Echtzeit überprüft ein Algorithmus Aussagen von Politikern und markiert sie nach Abgleich mit allen verfügbaren Quellen im Internet als wahr oder falsch. Jedenfalls soll es einst so funktionieren, auch als App für den örtlichen Politikerauftritt. Aktuell ist die Software noch in der Testphase: Die zu überprüfenden Aussagen werden von Redakteuren eingefügt, vornehmlich das eigene Archiv dient zum Gegencheck.
Grenzen des Wahrheitsautomaten
Seinen Ursprung hat der Truth Teller in der Auseinandersetzung zwischen Barack Obama und Mitt Romney, deren Teams sich einen Wahlkampf der Lüge lieferten. Längst verfügten die großen Zeitungen zwar über eine Armada von Faktencheckern, Lügen und Halbwahrheiten konnten sie den Kandidaten aber immer nur im Nachhinein nachweisen, nicht simultan. "Dieses Problem wollten wir lösen und der Öffentlichkeit die Information in genau dem Moment zur Verfügung stellen, in dem sie sie braucht", sagt Cory Haik, bei der "Washington Post" für den Truth Teller zuständig. Über den ersten, allerdings internen, Testlauf der Software während Obamas Rede zur Lage der Nation berichtete die "Süddeutsche Zeitung": Man sei einfach "noch nicht so weit, klare Aussagen dazu zu machen, wie ehrlich er war", sagte demnach Haik über Obama.
Aber kann solch ein Wahrheitsautomat, können Daten und Zahlen das ideologische Feuer aus der Polit-Diskussion nehmen? Nicht wirklich. Denn letztlich sind solche Instrumente doch ausgerichtet auf die simple, leicht zu beweisende Faktenlüge: Etwa die Höhe der Arbeitslosenzahlen oder korrektes Zitieren. Meist aber findet sich die verdrehte Wahrheit in der Interpretation der Fakten. So könnte man etwa über den Irak-Krieg des Präsidenten George W. Bush sagen: Durch die erfolgreiche Invasion der USA und ihrer Verbündeten wurden 25 Millionen Iraker vom Joch der Diktatur befreit. Möglich wäre aber auch: Unter Vortäuschung falscher Tatsachen - angeblicher Massenvernichtungswaffen - wurde der Krieg ohne Uno-Mandat vom Zaun gebrochen.
Beides richtig, kein Faktenchecker würde widersprechen. Dennoch tragen die Aussagen eine ganz unterschiedliche Konnotation. Und das ist es, was zählt im vergifteten Klima Washingtons. Vergangene Woche haben die Republikaner erstmals in der US-Geschichte die Berufung eines US-Verteidigungsministers filibustert, also aufgehalten. Warum? Unter anderem, weil der Mann einst den Irak-Krieg kritisiert hatte.
Kein Truth Teller, keine Statistik, kein Tortendiagramm kann diese Spaltung überwinden.