Verfahren gegen Privatradio Ungarns Medienaufseher nutzen neue Befugnisse
Kaum hat sie mit dem neuen Jahr erweiterte Befugnisse bekommen, greift die Medienaufsicht der ungarischen Regierung auch schon durch - gegen einen Radiosender. Ein Song des US-Rappers Ice-T gefährdet aus ihrer Sicht die Jugend.
Budapest - Die ungarische Medienbehörde NMHH macht Ernst: Gleich am ersten Tag haben die Aufseher die umstrittene Erweiterung ihrer Befugnisse genutzt. Die von der Regierungspartei gestellten Aufseher leiteten ein Verfahren gegen den Budapester Privatsender Tilos Radio ein. Nicht wegen politisch missfälliger Berichterstattung - sondern wegen eines angeblichen Verstoßes gegen den Jugendschutz. Der Sender hatte ein Lied des US-Rappers Ice-T gespielt.
Der Vorwurf der NMHH: Der 1993 veröffentlichte Song "It's on" sei jugendgefährdend. In dem bald 20 Jahre alten Lied droht Ice-T der Polizei, dazu sind Pistolenschüsse zu hören. In dem Song brüstet sich der Sänger damit, dass es für ihn ein Leichtes sei, einen Mord in Auftrag zu geben - es ist das genretypisches Gepose.
Ob und wie Tilos Radio bestraft wird, war zunächst unklar. Wie ungarische Medien am Samstag berichteten, nahm die sozialistische Oppositionspartei MSZP den Sender in Schutz. Tilos Radio machte geltend, dass die Ungarn den amerikanischen Slang im Song ohnehin nicht verstünden, so dass eine jugendgefährdende Wirkung nicht zu befürchten sei.
Nach dem am Samstag in Kraft getretenen Mediengesetz kontrolliert NMHH nun alle ungarischen Medien, auch den Inhalt ihrer Botschaften. Bei Verstößen gegen vage Vorschriften im Mediengesetz drohen hohe Geldstrafen, die für manche Medien den Ruin bedeuten können. NMHH wird direkt von der rechtspopulistischen Regierung Ungarns kontrolliert. Alle ungarischen Oppositionsparteien haben eine Klage gegen das Gesetz beim Verfassungsgericht angekündigt.
International stieß das Gesetz auf heftige Kritik. Mehrere europäische Politiker forderten umgehend Maßnahmen gegen das Land, das am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Gesetz kritisiert. Ungarn dürfe die rechtsstaatlichen Prinzipien im Umgang mit den Medien nicht verletzen, sagte einer ihrer Sprecher. Die Bundesregierung beobachte die Änderungen dort mit "großer Aufmerksamkeit". Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sprach von einer Verletzung der Menschenrechte: "Wir haben ein Problem."
Die Oppositionspartei MSZP fragte in einem offenen Brief, ob die Behörde die von ihr veröffentlichte Übersetzung des Rap-Textes ins Ungarische selbst finanziert habe und ob die ungarische Textversion als "amtliche" Übersetzung zu betrachten sei. Sollte NMHH eine fremde Übersetzung veröffentlicht haben, würde dies urheberrechtliche Probleme aufwerfen, schrieb MSZP weiter.
ore/dpa