Protest bei der WM Die Grenzen der Freundlichkeit
Russland erlebt sein Sommermärchen, ist jetzt oft zu hören. Menschengruppen können sich ohne Schikane versammeln, sogar die Polizisten lächeln. Ganz so idyllisch ist es denn aber doch nicht.
Russlands Oppositionelle reiben sich seit Tagen die Augen: Tausende ausländische Fußballfans bevölkern die Innenstädte des Landes, scharen sich in Gruppen zusammen, tanzen, singen, sitzen auf dem Kopfsteinpflaster und ziehen gemeinsam durch die Straßen. Und die Polizei?
Normalerweise sind die Ordnungshüter blitzschnell alarmiert, wenn sich in Russland irgendwo Menschen versammeln, ohne die Obrigkeit um Erlaubnis gefragt zu haben. Regelmäßig gibt es bei nicht genehmigten Demonstrationen Hunderte Festnahmen. Doch seit internationale Gäste die Straßen füllen, halten sich die Uniformierten zurück. Hier und da wurden sogar lächelnde Polizisten gesichtet.
Beim Spiel Spanien gegen Iran diese Woche in Kazan, der Hauptstadt der vom gemäßigten Islam geprägten Teilrepublik Tatarstan, haben die Sicherheitsbehörden nun den gewohnten Status quo wiederhergestellt. Fast zwei Stunden wurde die iranische Aktivistin Maryam Qashqaei Shojae am Stadion festgehalten. Der Grund: Sie hatte ein Plakat dabei, mit dem sie dagegen protestieren wollte, dass in Iran Frauen keine Fußballspiele besuchen können. Erst zur zweiten Halbzeit konnte die Frau ihren Platz im Stadion einnehmen und das Spiel ihrer Nationalmannschaft anschauen.
Politische Plakate in WM-Stadien sind von der Fifa zwar verboten. Den Protest gegen das Stadionverbot für Frauen sehen die Fußballfunktionäre jedoch nicht als politisch an. Schon beim ersten Gruppenspiel des Irans gegen Marokko waren auf den Tribünen Plakate mit dem Slogan "Lasst iranische Frauen in die Stadien" zu sehen. Die FIFA erklärte, es handele sich um eine soziale und keine politische Forderung, daher waren die Plakate genehmigt.
Maryam Qashqaei Shojae erklärte gegenüber der Agentur Reuters, sie habe in Kazan sogar eine offizielle Genehmigung des Fußballverbandes vorgezeigt. Die Sicherheitsleute am Stadion hat das offenbar nicht überzeugt. Das Plakat durfte die Iranerin nach der zweistündigen Befragung und Durchsuchung nicht wieder mitnehmen.