AKW-Moratorium Altkanzler Kohl kritisiert Merkels Atomkehrtwende
Das Atom-Moratorium wird für Kanzlerin Merkel kurz vor den wichtigen Landtagswahlen zur Belastung. Erst bringt Wirtschaftsminister Brüderle die Regierung in Not, nun meldet sich Altkanzler Kohl zu Wort - und warnt vor einem Ausstieg.
Berlin - Altkanzler Helmut Kohl mischt in der Debatte um die künftige Energiepolitik mit und setzt sich in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung für die weitere Nutzung der Kernenergie ein. "Es ist ein folgenschwerer Irrtum anzunehmen, dass andere Länder uns folgen würden", wenn Deutschland ausstiege, argumentiert der ehemalige CDU-Chef. Solange es keine wettbewerbsfähige und umweltschonende Alternative gebe, werde es auch keinen weltweiten Ausstieg aus der Kernenergie geben.
Das Unglück im Atomkraftwerk Fukushima I mache alle "fassungslos", dürfe aber "nicht den Blick für die Wirklichkeit verstellen", schreibt Kohl. In Deutschland habe sich durch die Ereignisse in Japan "erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert. Die Kernenergienutzung in Deutschland ist durch das Unglück in Japan nicht gefährlicher geworden, als sie es vorher gewesen ist." Die Lehre aus Japan dürfe nicht "die berühmte Rolle rückwärts sein", schreibt er.
Ein überhasteter Ausstieg aus der Kernenergie wäre "eine gefährliche Sackgasse", schreibt Kohl weiter. "Wenn das Land, dessen Kernkraftwerke zu den sichersten der Welt gehören und dessen Ingenieurskunst in der ganzen Welt bewundert und geachtet wird, überhastet ausstiege, würde dies die Welt sogar gefährlicher machen." Als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe in Japan hatte Merkel vergangene Woche das vorläufige Abschalten von sieben Altmeilern in Deutschland für zunächst drei Monate verkündet.
Kohl warnt auch vor einer vorschnellen Festlegung auf bestimmte Energiequellen wie Wind und Sonne. Technologischer Fortschritt bedeute auch, dass vermeintlich "veraltete" Ressourcen in Zukunft ein "Hoffnungsträger" sein könnten.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hingegen verteidigte die Atomkehrtwende der Regierung. Die Katastrophe von Japan sei eine Zäsur und verlange eine umfassende Überprüfung bisheriger Positionen. "Wir brauchen jetzt eine Zeit des vorbehaltlosen Nachdenkens. Von Wahlkampfmanöver kann keine Rede sein", sagte er der "Passauer Neuen Presse".
"Falsch wiedergegeben"?
Damit nahm er Bezug auf die Vorwürfe gegen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), er habe das Atom-Moratorium mit dem Wahlkampf begründet. "Der Wirtschaftsminister hat dieser Darstellung bereits widersprochen, der Vorwurf ist auch absurd", sagte Gröhe. Unterstützung erhielt Brüderle auch von FDP-Chef Guido Westerwelle, der von einer Kampagne der Opposition in Hinsicht auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an diesem Sonntag sprach. "Das hat keinen realen Hintergrund", sagte Westerwelle bei einer Wahlveranstaltung in Stuttgart.
Brüderle soll laut einem Protokoll des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) am 14. März vor Industrievertretern erklärt haben, die vorübergehende Abschaltung der sieben älteren Atommeiler in Deutschland nach der Fukushima-Katastrophe sei Wahltaktik gewesen. Der FDP-Politiker wies die Darstellung zurück. Der BDI sprach später von einem Protokollfehler. Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf sagte: "Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden."
Hier die umstrittenen Passagen zum Auftritt von Wirtschaftsminister Brüderle laut Protokoll:
"TOP 4 Umsetzung des industriepolitischen Gesamtkonzepts Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle
Herr Dr. Keitel begrüßte den Minister und wies zugleich darauf hin, dass es in der Bundesregierung einige industriekritische Vorhaben gebe, die die Wirtschaft in ihrer Entwicklung behinderten und die man mit Sorge beobachte.
Der Minister ging zunächst auf die Ereignisse in Japan ein. Man müsse sich darauf einstellen, dass die Energiediskussion mit gesteigerten Emotionen zurückkommen werde. Eine redliche Aussprache über Alternativen müsse aber auch die Themen CCS und Leitungsbau mit in den Blick nehmen.
Einer Rohstoffsteuer erteilte BM Brüderle klar eine Absage. Um mit der Rohstoffknappheit umzugehen, müssten andere Instrumente her, wie eine Verbesserung des Marktzugangs und eine Stärkung der Suche nach Alternativen.
Schließlich ging er auf die Euro-Stabilität ein. Zwar sei die Stabilitätskultur in Europa schon immer unterschiedlich gewesen. Die Südländer hätten von der harten Währung aber massiv profitiert. Beantwortet werden müsse nun die Frage, wie die Aufstockung des europäischen Stabilisierungsmechanismus genau zu vollziehen sei. Sehr zu begrüßen sei in diesem Zusammenhang das Einstimmigkeitsprinzip. Ohne eine deutsche Zustimmung könne der Fonds nicht auszahlen, wie auch immer dies dann in der späteren Praxis gelebt werde.
Herr Dr. Keitel machte darauf aufmerksam, dass derzeit eine Meldung über die Ticker laufe, wonach die Bundesregierung am Nachmittag ein Moratorium der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke bekannt geben wolle. Der Minister bestätigte dies und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien. Er sei ein Befürworter der Kernenergie in Deutschland und für ihn sei klar, dass die energieintensive Industrie in der Wertschöpfungskette gebraucht werde. Es könne daher keinen Weg geben, der sie in ihrer Existenz gefährde.
In der weiteren Aussprache, an der sich die Herren Dr. Enders und Dr. Keitel beteiligten, bezweifelte der Minister, ob das Bekenntnis der Politik zur Kernenergie flächendeckend sei."
Brüderles angebliche Äußerungen schaden Schwarz-Gelb im Wahlkampf
Die "Rheinische Post" berichtet unter Berufung auf Verbandskreise, BDI-Chef Hans-Peter Keitel habe sich bei Brüderle am Donnerstag telefonisch für die Veröffentlichung des internen Sitzungsprotokolls entschuldigt. Keitel sei "sehr verärgert" über die Protokollpanne gewesen. In dem Gespräch habe sich Brüderle irritiert gezeigt, dass Zitate aus internen Sitzungen dokumentiert und ohne sein Wissen versandt wurden, habe es geheißen.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf der Bundesregierung im Neubrandenburger "Nordkurier" Versagen bei der Energiewende zugunsten der erneuerbaren Energien vor. "Mit einem Salto mortale in der Atompolitik ist es nicht getan. Die Kanzlerin meint es nicht ernst." Die Bundesregierung habe ihre Glaubwürdigkeit verspielt. "Die Energiewende wird einkassiert, sobald die Landtagswahlen vorbei sind", meint Nahles.
Die angeblichen Aussagen Brüderles zum Atom-Moratorium schaden nach Einschätzung des Mainzer Parteienforschers Jürgen Falter dem schwarz-gelben Wahlkampflager. "Es gibt den Gegnern von Bundesregierung und Landesregierung in Baden-Württemberg gewaltigen Rückenwind, und es bestätigt die große Skepsis der Bundesbürger gegenüber den Absichten, die hinter dem Moratorium stecken", sagte er.
ffr/dpa/AFP/dapd