Reaktion auf Spionage-Affäre Merkels Waffen gegen Washington
Unruhe, Kritik, Empörung: Die BND-Spionageaffäre verstärkt das Misstrauen gegenüber Washington. Doch Angela Merkel hat nur wenige Mittel, die US-Regierung unter Druck zu setzen - und die schärfsten sind zugleich die gefährlichsten.
Berlin - Die Sätze klingen forsch: Von einem "sehr ernsthaften Vorgang" spricht die Kanzlerin. "Überwachungswahn" hält der Justizminister den Amerikanern vor. "Ein Weiter-so wird es nicht geben", lässt der Außenminister durch seine Sprecherin wissen.
Der Fall des BND-Mitarbeiters, der einem amerikanischen Geheimdienst jahrelang geheime Unterlagen geliefert haben soll, empört Berlin. Inzwischen gibt es kaum noch Zweifel daran, dass die Spur in die USA führt. Ein präparierter Computer, eine Kontaktnummer in New York, ein detailliertes Geständnis - es gibt etliche, schwerwiegende Indizien. Schon fordern Politiker von Union und SPD eine Ausweisung von US-Diplomaten.
Nach der NSA-Affäre droht den transatlantischen Beziehungen die nächste, heftige Belastung. In der Bundesregierung ist man sich im Klaren darüber, dass von der Öffentlichkeit mindestens eine symbolische Reaktion in Richtung Washington erwartet wird. Die Frage ist nur: Wie soll die aussehen? Die Kanzlerin steckt im Dilemma, einfache Antworten gibt es nicht auf diese Frage. Folgende Szenarien wären denkbar:
Berlin beschwert sich offiziell und öffentlich in Washington über die Doppelagenten-Affäre.
Aus der NSA-Affäre hat die Bundesregierung gelernt, dass öffentliche Empörung kaum etwas bringt, vielmehr hat man mit dem Affront viele Gesprächskanäle zugeschüttet. Stattdessen wird Berlin versuchen, dem Frust in direkten Gesprächen Luft zu machen und öffentlich weiter von verschiedenen Sichtweisen zu sprechen. Die USA wiederum können aus Sicht von Geheimdienst-Insidern ihre Rolle bei der geheimdienstlichen Führung des BND-Spitzels nicht zugeben, da sie sonst ein ganzes Netz von Agenten in Deutschland und Europa enttarnen müssten und auch vor ein deutsches Gericht gezerrt werden könnten. Daher: Die Option ist eher unwahrscheinlich.
Deutschland deklariert die US-Dienste als Feinde, wie die Agenten der Russen oder Chinesen.
Schon nach der NSA-Affäre gab es in den deutschen Diensten und im Innenministerium konkrete Forderungen, gegenüber den USA eine härtere Gangart einzulegen, die hiesigen US-Agenten zu beobachten. Auch Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) könnte sich einen solchen "360-Grad-Blick" der Spionageabwehr vorstellen. Allerdings hat das Kanzleramt die Wünsche nach einem Kurswechsel stets abgebügelt. In der politischen Abwägung erschienen die Partnerschaft zu Amerika und vor allem die vielen Hinweise der US-Dienste, die schon zur Aufdeckung von Terrorplanungen in Deutschland führten, bis heute gewichtiger als die Bestrafung der USA durch eine solche Geste. Auch für dieses Szenario gibt es also Hürden.
US-Diplomaten oder bei der Botschaft angemeldete US-Agenten werden nach dem Skandal ausgewiesen.
Im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags sprach der Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, am vergangenen Donnerstag erstmals über eine mögliche Ausweisung von US-Botschaftsmitarbeitern. Für die diplomatische Ohrfeige gen Washington aber setzte der Top-Beamte hohe Hürden: Nur wenn man einem als Diplomat akkreditierten Agenten der CIA oder eines anderen Dienstes gerichtsfest nachweisen könne, dass dieser daran beteiligt gewesen sei, den Pullacher BND-Mitarbeiter angeheuert oder geführt zu haben, könnte man einen Rausschmiss angehen. Aber was würde dann passieren? Womöglich könnten die Amerikaner ihrerseits deutsche Botschaftsmitarbeiter aus den USA ausweisen. Eine Kaskade gegenseitiger Strafmaßnahmen könnte folgen.
Die Freihandelsgespräche könnten abgebrochen werden.
Schon während der NSA-Affäre war ein Abbruch der Verhandlungen über das sogenannte TTIP ins Spiel gebracht worden. Richtig ist, dass ein solcher Schritt US-Präsident Barack Obama mächtig ärgern würde, soll das Freihandelsabkommen doch eines der wichtigsten Projekte seiner Amtszeit werden. Doch sowohl Angela Merkel als auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) wollen an den Gesprächen festhalten, da sie sich für die hiesige Wirtschaft viele Vorteile versprechen. Theoretisch vorstellbar ist allenfalls eine Verzögerung, eine Absage oder eine Verschiebung von Verhandlungsrunden.
Edward Snowden wird doch in Deutschland vernommen.
Die Koalition stemmt sich seit Monaten dagegen, den Whistleblower nach Deutschland zu holen. Die Bundesregierung fürchtet den diplomatischen Flurschaden, den ein solcher Schritt zur Folge hätte. Zudem begründet sie ihren Widerstand damit, den Ex-NSA-Mitarbeiter im Zweifel ausliefern zu müssen. Einen kleinen Hebel in Sachen Snowden hat die Bundesregierung aber möglicherweise doch: Seit Monaten ist ein von der US-Regierung erstelltes Festnahmeersuchen Snowdens in der Schwebe, für den Fall, dass dieser sich auf den Weg nach Deutschland macht. Justizministerium und Kanzleramt hadern mit einer Entscheidung und haben die USA jüngst gebeten, ihr Ersuchen noch einmal zu konkretisieren. Eine weitere Verzögerung? Nicht ausgeschlossen.