CDU-Flüchtlingspolitik War es richtig?
In einem "Werkstattgespräch" versucht die CDU, ihre Flüchtlingspolitik zu klären. Angela Merkel fehlt, Annegret Kramp-Karrenbauer freut sich über die "spannende Debatte". Ein Ergebnis ist hier nicht zu erwarten.
Mein letztes Werkstattgespräch nahm einen eher ungünstigen Verlauf.
"Seien Sie mir nicht böse", sagte der Mann im blauen Overall auf meine Frage, was es denn kosten würde, diese undichte Stelle zu finden, wegen der nach jedem Regenguss der Fußraum rechts hinten unter Wasser stand. Er schaute auf den Wagen, dann auf mich, dann wieder auf den Wagen, und dann sagte er, an meiner Stelle würde er da kein Geld mehr hineinstecken, sondern weiterfahren, bis der TÜV abgelaufen ist, und dann sei eben Schluss, denn: "Seien Sie mir nicht böse, aber solche Autos gehen nach Afrika."
Die Hauptdarsteller fehlen
Diese Art von Werkstattgespräch kann es schon einmal nicht sein, das die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gerade mit ihrer Partei führt, denn offensichtlich geht es bei der Union nicht darum, dass irgendwer nach Afrika geht, sondern ganz im Gegenteil darum, dass möglichst keiner mehr von dort (oder sonstwo her) zu uns kommt. Oder darum, die Flüchtlingspolitik ihrer Vorgängerin Angela Merkel, ja was eigentlich: abzuräumen? Gutzuheißen? Mal sehen! Jedenfalls geht es um "Migration, Sicherheit und Integration", Kramp-Karrenbauer möchte "das Thema in seiner ganzen Breite besprechen".
Das klingt dann eher nach der zweiten bekannten Form des Genres Werkstattgespräch, diese findet gemeinhin am Theater statt. Auf der Bühne sitzt ein Regisseur und erklärt, von einem beflissenen Kulturjournalisten befragt, warum in seiner Inszenierung alles ganz anders sein musste als in allen anderen Inszenierungen zuvor, wozu sich die ebenfalls auf der Bühne anwesenden Darsteller vielsagende Blicke zuwerfen. Die interessierte Zuschauerschaft erfährt also, welchem Wollen die ihr möglicherweise auf den ersten Blick unverständlichen Vorgänge auf der Bühne folgten.
So ein Werkstattgespräch kann es aber auch nicht sein, das Kramp-Karrenbauer mit ihrer Partei führt, denn es fehlen die Hauptdarsteller des großen unionsinternen Flüchtlingsstreits der Jahre 2015 und folgende: Horst Seehofer, der als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident von einer "Herrschaft des Unrechts" gesprochen hatte und nicht nur die Koalition, sondern auch die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU wegen der Flüchtlingspolitik mehrmals fast zerbrechen ließ, ist nicht dabei. Und es fehlt vor allem Angela Merkel. Sie ist jetzt ausschließlich Bundeskanzlerin, auf reinen Parteiveranstaltungen hat sie nichts mehr verloren.
Die große Leerstelle der Union
Also, ist ja immer gut, versucht man nach vorne zu blicken und tauscht sich in Gesprächskreisen darüber aus, was man besser machen könnte in Zukunft. Erste Ergebnisse sind bereits erzielt: Man möchte "konsequent entscheiden und handeln", und das mit einer "vernünftigen Mischung aus Humanität und Härte" - so äußern sich Teilnehmer. Das mache Mut in einer Debatte mit vielen unterschiedlichen Positionen und Meinungen, freut sich die Vorsitzende.
Man kann es der Kanzlerin angesichts dieser Plattitüden nicht verdenken, dass sie den Montag nicht in einem Stuhlkreis im Konrad-Adenauer-Haus verbringt. Und doch offenbart ihre Abwesenheit die große Leerstelle, die die CDU seit Jahren nicht zu füllen vermag. Denn selbstverständlich ist es sinnvoll, immer wieder und auch noch einmal im "Werkstattgespräch" darüber zur reden, wie die EU-Außengrenzen geschützt und Schengen erhalten werden kann, wie Asylverfahren beschleunigt werden können und Fachkräftezuwanderung organisiert werden soll. Und wie eine vernünftige Integrationspolitik aussehen könnte.
Aber die eine Frage bleibt doch offen, sie entzweit die Union nach wie vor, und sie ist mit Merkel verbunden wie keine andere: War es richtig, im Spätsommer 2015 die Grenzen offen zu halten und viele Tausend Flüchtlinge nach Deutschland kommen zu lassen?
Der damalige Innenminister Thomas de Maizière hat gerade in seinem Buch "Regieren" dargelegt, dass es sich dabei um keine juristisch eindeutig zu beantwortende Frage handelt: Man hätte die Grenzen schließen können, man musste aber nicht. Es war eine politische Entscheidung. War sie richtig? Darauf findet die CDU unter Annegret Kramp-Karrenbauer keine Antwort.
Ein wenig weiter rechts, aber nicht zu viel
Wie könnte sie auch? Würde die Union aus der Werkstatt kommen und verkünden, das sei alles ein schlimmer Fehler gewesen, man hätte damals besser mit weniger Humanität und vor allem mit Härte reagieren sollen, mit Schlagstöcken auch gegen Frauen und Kinder, um sie am Grenzübertritt zu hindern, unter Inkaufnahme von elenden Lagern an der österreichisch-deutschen Grenze und einem Rückstau der Flüchtlinge bis ins vollkommen überforderte Griechenland - was wäre die Folge? Hätte die CDU dann nicht schon längst Angela Merkel nicht nur aus dem Parteivorsitz, sondern auch aus dem Kanzleramt vertreiben müssen? Und wie vertrüge sich eine solche Abschottung eigentlich mit dem christlichen "C" im Parteinamen?
Oder anders: Stellte sich Annegret Kramp-Karrenbauer vor die Presse und erklärte, man habe das jetzt alles noch einmal durchgesprochen, und selbstverständlich habe man damals angesichts des Elends vor allem menschlich reagieren müssen, schließlich sei man eine christliche Partei und Deutschland ein reiches Land, und im Übrigen habe man es ja auch weitgehend geschafft - warum genau wäre dann Angela Merkel eigentlich nicht mehr Parteivorsitzende?
Es gibt für die Partei auch unter Annegret Kramp-Karrenbauer keine befriedigende, einende Antwort auf diese Frage. Und so redet die Parteivorsitzende eben so, dass möglichst alle den Eindruck haben, sie stünde auf ihrer Seite: Ein wenig weiter rechts als Merkel, aber bitte nicht zu viel. Und dann ist irgendwann auch mal gut, wir haben schließlich ausführlich geredet.
Tatsächlich bleibt der Partei nach dem großen Versöhnungspalaver allein die Hoffnung, dass es nie wieder geschieht, dass die Griechen und die Italiener ihre Grenzen so dicht halten werden, dass niemand von der Union im Kanzleramt jemals wieder vor der Entscheidung steht, Menschen mit Gewalt ihren Wunsch nach einem besseren Leben auszutreiben oder sie hereinzulassen, mit allen Problemen und Risiken.
Genauso gut kann man sich wünschen, dass es nie wieder regnet.