Merkels Rede auf CDU-Parteitag Diagnose stimmt, Rezept fehlt
Die Krise als "Herkulesaufgabe unserer Zeit": Auf dem CDU-Parteitag in Hannover stellt Angela Merkel Deutschland und ihre Partei mal wieder auf harte Zeiten ein. Sie sollte stattdessen endlich sagen, wie sie diesen Herausforderungen begegnen will.
In der CDU herrschen für Angela Merkel paradiesische Zustände. Sie hat keinen Rivalen um die Macht, die lästigen Ministerpräsidenten von einst sind in andere Jobs geflohen, wegbefördert oder haben sich selbst erledigt. Eine zermürbende Nachfolgedebatte gibt es nicht.
Doch Merkel hat in Hannover nicht gezeigt, wofür sie diese Machtfülle für ihre Partei nutzen will.
Das ist schon deshalb bedauerlich, weil Merkel sehr wohl eine Idee von den Problemen hat, vor denen Deutschland steht. Von den Politikern, die derzeit Verantwortung tragen, hat sie die Zukunftsaufgaben für unser Land wohl am besten durchschaut.
Merkels Analysen treffen zu - doch es fehlen die Folgerungen
Merkel blickt in Hannover aus zwei Blickwinkeln auf Deutschland. Da ist zum einen das mächtige Land im Herzen Europas, eine wirtschaftliche Supermacht, gerade im Gegensatz zu den darbenden Südländern in der Euro-Zone. Das ist der enge Ausschnitt. Dann weitet Merkel den Blick. Mit einem Mal ist der Stabilitätsanker der Europäer nur noch eine kleine "Insel in einer turbulenten Welt". "Wenn wir weltweit eine Rolle spielen wollen, werden wir 80 Millionen Deutsche nicht weit kommen." Hier zu bestehen, sei die "Herkulesaufgabe unserer Zeit".
Ähnlich ist es in der Innenpolitik. Merkel spricht vom demografischen Wandel, auch er eine Aufgabe, gewaltig wie die Globalisierung. "Wenn immer weniger Junge für mehr Ältere sorgen müssen, hat das natürlich Auswirkungen auf den Generationenvertrag."
All das ist richtig. Doch wer in Hannover auf Antworten hoffte, wie sie als Bundeskanzlerin diese Probleme bewältigen will, wartete vergeblich. Merkels Analyse trifft zu, doch bei den Folgerungen daraus lässt sie die Menschen im Nebel stehen.
Zu hören ist stattdessen ein Klangteppich von "Aufstieg durch Bildung" und vom "Wachstum, das kein Selbstzweck ist". Merkel verspricht ein Zeichen für Mütter, die auf mehr Rente hoffen, sie unterstützt die Flexi-Quote, was aber passieren soll, wenn die Wirtschaft trotzdem nicht mehr Frauen zum Aufstieg verhilft, sagt sie nicht. Die Energiewende nennt sie "Meilenstein" und "Exportschlager". Wie die Stromtrassen aber von Norden nach Süden kommen sollen, bleibt Merkels Geheimnis. Es gibt ein Bekenntnis zum "Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft". Doch wie sie Unternehmer oder Handwerker konkret fördern will, verrät sie nicht.
Die Kanzlerin regiert sozialdemokratisch
Merkels erste Antwort auf diese Zukunftsfragen hieß Leipzig. Auf dem Parteitag 2003 redete die CDU-Chefin dem Sozialstaatsabbau und der Ökonomisierung breiter Lebensbereiche das Wort. Die radikalen sozial -und gesellschaftspolitischen Beschlüsse brachten Merkel bei der Bundestagswahl 2005 an den Rand der Niederlage. Seitdem traut sie sich nicht mehr, den Wählern etwas zuzumuten.
Sie regierte sozialdemokratisch in der Großen Koalition, sie regiert sozialdemokratisch mit der FDP. Sie wird, wenn's Not tut, auch mit den Grünen sozialdemokratisch regieren. Dazu passt, dass sie in Hannover jeden Hinweis auf eine Koalitionsaussage zugunsten der Liberalen unterließ. Sie lobte ihre Regierung als die beste seit 1990, aber nicht den Koalitionspartner. Für die Liberalen gab es stattdessen Witze aus der Satiresendung: "Gott hat die FDP geschaffen, um uns zu prüfen." Warum soll sie sich auch an eine Partei ketten, von der derzeit noch nicht mal klar ist, ob sie überhaupt in den nächsten Bundestag kommt?
Merkel strebt im kommenden Jahr ihre dritte Amtszeit an. Sie gehört nicht zu den Politikern, die sich ewig an ein Amt klammern. Sie könnte das Land reformieren, zumindest könnte sie spät damit beginnen, wie Gerhard Schröder mit der Agenda 2010: Schulden schneller abbauen, Rente-, Pflege- und Krankenversicherung zukunftsfest machen, das Steuerrecht entrümpeln - zu tun gäbe es genug.
Nur, von all dem war in Hannover bestenfalls in Andeutungen die Rede.