CDU-Parteitag Renten-Rebellen sehen deutsche Glaubwürdigkeit in Gefahr
Die CDU stimmt sich mit einem Parteitag auf die Europawahl ein. Im Wahlprogramm wird die Rente mit 67 als Vorbild für andere EU-Staaten gefeiert. Zugleich führt die Koalition die Rente mit 63 ein. Mancher Christdemokrat kommt da nicht mit.
Berlin - Es gibt böse Zungen in der CDU, die sagen, der Bundesparteitag ihrer Partei an diesem Samstag belege, wie wenig Bedeutung die Christdemokraten dem Thema Europa beimessen. Die Kanzlerin spricht eine halbe Stunde, der CDU-Spitzenkandidat für die Europawahl, David McAllister, 15 Minuten, der Spitzenmann für die Europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, bekommt sogar nur zehn Minuten Redezeit. Dann schnell noch das Europawahlprogramm verabschieden, am Nachmittag können alle wieder nach Hause. Nach einem Parteitag der Geschlossenheit, wie man so schön sagt.
Doch im Entwurf für eben jenes Wahlprogramm, das eigentlich fade und unspektakulär daherkommt, steckt eine Passage, die für Zündstoff in der Berliner Messe sorgen könnte. Ab Zeile 2430 heißt es:
"Deutschland hat mit der Rente mit 67 einen wichtigen Schritt für ein stabiles und generationengerechtes Rentensystem gemacht. Wir ermutigen die anderen Staaten der Europäischen Union, ihre Systeme zur Alterssicherung ebenso zukunftssicher aufzustellen und längere Lebensarbeitszeiten in Betracht zu ziehen."
Die Rente mit 67 als Vorbild für alle anderen, während man zu Hause mit der Rente mit 63 eine Rolle rückwärts macht? Schwer vermittelbar, finden das so manche in der Union. "Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt wie die Rente mit 67 haben dazu geführt, dass es Deutschland heute wirklich gutgeht", sagt der CDU-Parlamentarier Jens Spahn. "Im europäischen Ausland wird sehr genau zur Kenntnis genommen, wie Deutschland derzeit einen Teil dieser Reformen relativiert. Das schwächt unsere Position, wenn wir von anderen europäischen Ländern zum Teil schmerzhafte Veränderungen verlangen." Mit anderen Worten: Deutschland setzt mit der Rente mit 63 seine Glaubwürdigkeit in Europa aufs Spiel.
Auch der Chef des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten (CDU), weist auf den Widerspruch zwischen Koalitionsrealität und Programmprosa hin. Den Text, der zur Abstimmung vorliegt, will er daher lieber nicht vor den Delegierten verteidigen. "Sonst müsste ich ja den Beschluss des CDU-Bundesvorstands, in dem die Rente mit 67 ausdrücklich unterstützt und für andere europäische Länder gefordert wird, loben und gleichzeitig die Beschlüsse der Bundesregierung zur teilweisen Absenkung des Rentenalters auf 63 kritisieren", sagt von Stetten und ätzt: "Beides gleichzeitig zu unterstützen, bin ich intellektuell nicht in der Lage."
Kritiker fordern Nachbesserungen im Bundestag
Die Kritiker dringen nun auf Änderungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren - und zwar "definitiv", wie es Spahn ausdrückt. Sie wollen vor allem eine neue Frühverrentungswelle verhindern. Daher soll die Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit begrenzt werden. Er habe bisher "kein einziges Argument gehört, warum Arbeitslosenjahre wie Arbeitsjahre anerkannt werden sollen", sagt von Stetten. "Deshalb muss dieser Punkt gestrichen werden." Geschieht dies nicht, droht der Union ein peinliches Abstimmungsergebnis. Er habe bereits eine Liste von 50 Abgeordneten, die dann gegen die Rente mit 63 stimmen würden, sagt von Stetten. Darunter sind prominente Mitglieder der Fraktionsführung wie die stellvertretenden Vorsitzenden Michael Fuchs (CDU) und Hans-Peter Friedrich (CSU).
Zudem hat der Wirtschaftsflügel ein Modell für flexiblere Regeln zur Beschäftigung über das Rentenalter hinaus vorgelegt. Spahn unterstützt die Pläne. Man müsse "Anreize setzen, dass es sich für die, die wollen und können, auch lohnt, übers gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten", sagt der CDU-Gesundheitsexperte.
Nicht ausgeschlossen ist, dass sich auf dem Parteitag noch weiterer Unmut Bahn bricht. Denn die Unzufriedenheit über das Rentenpaket steht nur exemplarisch für eine Reihe von Projekten aus den ersten Regierungswochen, die vor allem eine sozialdemokratische Handschrift tragen. "Mindestlohn, Rente, Frauenquote - wir sind als CDU in der Koalition im Moment zu sehr damit beschäftigt, das Schlimmste zu verhindern", sagt Spahn. "Als Wahlsieger mit über 41 Prozent haben wir aber auch den Anspruch, aktiv nach vorne zu gestalten." Der Christdemokrat ruft nach einer Reformagenda. "Der demografische Wandel kommt unaufhaltsam auf uns zu. 2030 gehen mehr als doppelt so viele Menschen in Rente wie aus den Schulen nachkommen." Diese Situation verlange nach Antworten.
Bei aller Kritik - einen Aufstand muss Kanzlerin Angela Merkel beim Parteitag trotzdem nicht fürchten. Solange die Umfragen die Union weiter konstant über 40 Prozent sehen und die SPD von ihrem Ideenfeuerwerk nicht profitiert, werden die Kritiker sich nur wohldosiert äußern.
Zum anderen wollen gerade die Jüngeren dem neuen Generalsekretär Peter Tauber nicht die Party vermiesen. Der 39-Jährige wird am Samstag in Berlin offiziell gewählt. "Mit Peter Tauber haben wir einen Generalsekretär, der auch die Anliegen der jüngeren Generation klar vor Augen hat", sagt Spahn. Es ist Lob und Auftrag zugleich.