Medienschelte nach Trump Die dunkle Seite der Macht
Sind Medien blind, weil sie Donald Trumps Wahlsieg nicht vorausgesehen haben? Wer das bejaht, missversteht die Aufgabe der Journalisten.
Ich muss diese Kolumne mit einem Geständnis beginnen. Zu den Menschen, die ich kenne, gehört Roger Köppel. Für alle, die mit dem Namen nicht auf Anhieb etwas anfangen können: Das ist dieser Schweizer Journalist, der immer ein wenig an Alfred E. Neumann erinnert, die berühmte Titelfigur des Satiremagazins "MAD", und der Fernsehzuschauern von einem seiner zahlreichen Talkshowauftritte bekannt sein dürfte, bei denen er Frauke Petry schon zur Seite sprang, als es Frauke Petry und die AfD noch gar nicht gab.
Wir sind uns in Berlin begegnet, wo Köppel zweieinhalb Jahre die "Welt" leitete, bevor er nach Zürich zurückging, um aus der "Weltwoche" das zu machen, was die "Welt" nie sein wollte. Manchmal telefonieren wir oder sehen uns kurz. Die meisten Kollegen halten Köppel für eine Art Berlusconi der Schweiz. Nachdem er vergangenes Jahr für die SVP in den Nationalrat gewählt wurde, stand im SPIEGEL, dass er jetzt endgültig zur dunklen Seite der Macht übergelaufen sei.
Sie können sich meine Verblüffung vorstellen, als ich Köppel vergangene Woche in einer ganz neuen Rolle begegnete: Nicht in der als rechte Krawalltüte, auf die er abonniert ist, sondern in der des unabhängigen Medienkritikers, der dem Journalismus mahnend den Spiegel vorhält. Der Rollenwechsel fand auch nicht bei "Tichys Einblick" oder einer der zahllosen Anti-Merkel-Seiten statt, die seit dem Trump-Sieg den Anbruch eines neuen Zeitalters begrüßen. Der Medienexperte Köppel hatte seinen Auftritt bei "Meedia", dem Branchendienst der Verlagsgruppe Dieter von Holtzbrinck, in der so hochseriöse Zeitungen wie das "Handelsblatt", der "Tagesspiegel" und die "Zeit" erscheinen.
Ich finde es immer gut, wenn man Menschen trotz ihres schlechten Rufs mit Offenheit begegnet. Die "Meedia"-Redakteure waren sogar so vornehm, über den Umstand, dass Köppel SVP-Politiker ist, einfach hinwegzusehen. Ein Hinweis auf seine politische Tätigkeit wurde erst in einer späteren Fassung des Interviews eingefügt, vermutlich, weil nicht alle Leser so vorurteilsfrei reagierten wie die "Meedia"-Macher. Dennoch habe ich mich gefragt, ob Köppel der Richtige ist, um über den Zustand der deutschen Presse Auskunft zu geben.
Köppel zu Blättern wie dem SPIEGEL oder der "Süddeutschen" zu befragen, ist in etwa so, als ob man eine katholische Nonne bitten würde, Herrenmagazine zu rezensieren. Entsprechend eindeutig fielen seine Urteile aus. Die Medien hätten in der Trump-Berichterstattung kläglich versagt, weil sie Trump bekämpft hätten, statt einfach über ihn zu berichten, erklärte er. Was die "Mainstream-Medien" abliefern würden, allen voran der SPIEGEL, habe mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Medienkritik ist im Augenblick groß in Mode. Überall kann man lesen, dass die Journalisten den Kontakt zu den Leuten verloren hätten, die ihnen politisch fern stehen, weshalb sie auch die Welle nicht hätten kommen sehen, die Trump ins Weiße Haus befördert habe. Dass Journalisten zu viel mit ihresgleichen zusammenglucken, ist zweifellos richtig. Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, die Presse hätte beim Wahlergebnis besser gelegen, wenn sie weniger kritisch mit Trump umgesprungen wäre, halte ich für eine sehr spezielle Lesart des Wahlausgangs.
In Wahrheit war Trump gar nicht der überragende Wahlkämpfer, als der er uns nun präsentiert wird. Verglichen mit Mitt Romney, der vor vier Jahren 61 Millionen Stimmen holte, hat der Wundermann aus New York für die Republikaner gerade mal eine Millionen Wähler mehr hinter sich versammelt. Wenn die linksliberale Presse eine Entwicklung verpasst hat, dann, wie groß die Unzufriedenheit mit der Kandidatin im eigenen Lager war. Clinton hat fast zwei Millionen Stimmen weniger erhalten als Obama 2012, gegenüber 2008 beläuft sich der Verlust sogar auf fünf Millionen. Das ist der Grund für den Sieg des Konkurrenten, nicht eine neue Bewegung von rechts, deren Aufkommen man als guter Zeitungsmann hätte erkennen müssen.
Was die Kritiker sagen wollen, wenn sie die Voreingenommenheit der Medien beklagen, ist, dass sie sich mehr positive Berichterstattung über die rechte Sache wünschen. Hier liegt allerdings ein Missverständnis über die Aufgabe der Presse vor. Ich habe selber mehrfach moniert, dass manche Journalisten glauben, es komme im Journalismus vor allem auf die richtige Haltung an. Aber ich würde nie auf die Idee kommen, von einer Zeitung zu erwarten, dass sie keine deutliche Meinung zu den Dingen hat, über die sie berichtet.
Die "Frankfurter Allgemeine" wird sich niemals für die Anliegen der Linkspartei stark machen, jedenfalls nicht, solange Berthold Kohler oder Jasper von Altenbockum dort das Sagen haben. Genau deshalb kaufen die Leute auch die "FAZ". Niemand klaren Verstandes käme auf die Idee, der Zeitung vorzuwerfen, sie habe in ihrer Berichterstattung versagt, weil die Linke bei Wahlen überraschend gut abgeschnitten hat.
Wenn man schon dabei ist, die Medien zu kritisieren, sollte man vielleicht auch einmal über den Zustand der Medienkritik reden. Vor sechs Monaten wurde man noch des "Rechtsrucks" geziehen, wenn man sich zu eingehend mit den AfD-Anhängern und ihren Motiven beschäftigte. Heute ist man ein hochnäsiger Pinsel, der nichts von der Wirklichkeit verstanden hat, wenn man zu hart mit Trump und seinen Wählern ins Gericht geht. Auch die Medienkritik ist nicht frei vom Opportunismus, wie man sieht: Irgendwann will jeder mal auf der Seite der Sieger stehen. Manchmal geht es auch einfach darum, der Konkurrenz eins auszuwischen.
Ich wäre ja dafür, dass Mediendienste ihre Interessenkonflikte offenlegen müssten. Wenn bei VW regelmäßig über die Produkte der anderen Autofirmen berichtet würde, fiele das in die Kategorie "Pressemitteilung" und würde entsprechend bewertet. Nur im Journalismus heißt die Pressemitteilung "Medien-Portal" beziehungsweise "Informationsquelle für alle, die sich für Medien interessieren".

Von einem, der aus Versehen konservativ wurde.
Rowohlt; 384 Seiten; 9,99 Euro.
Aber ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster hängen. Auf "Meedia" diskutieren die Leser, welche SPIEGEL-Redakteure später "gehenkt werden", wenn "der Wind sich gewendet hat". Ich musste zugegebenermaßen kurz schlucken, als ich das las. Von einer Verlagsgruppe, in der ein Blatt wie die "Zeit" beheimatet ist, hätte ich mehr Zögerlichkeit beim Übergang in die neue Ära erwartet.
Aber so ist das, wenn die Revolution rollt. Irgendwann muss sich jeder entscheiden, wo er steht, auch der Journalist.