FDP-Parteitag Projekt Selbstfindung
Die FDP trifft sich nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen erstmals zum Parteitag. Die Liberalen suchen nach ihrer neuen Rolle, doch die Geschlossenheit ist vorerst dahin.
Die Halle des einstigen Postbahnhofs ist für viele liberale Parteitagsdelegierte ein vertrauter Ort. Hier in Berlin-Kreuzberg tagten sie bereits mehrmals zu Zeiten der außerparlamentarischen Opposition, hier durchlebten sie das Auf und Ab ihrer Partei. An diesem Wochenende kommt die FDP wieder hier zusammen. Es ist ihr erster Bundesparteitag nach dem Wiedereinzug in den Bundestag, der erste nach den abgebrochenen Jamaika-Sondierungen.
"Lieber nicht regieren als falsch regieren" - der Satz, mit dem Parteichef Christian Lindner einer Koalition mit Union und Grünen im November eine Absage erteilte, hängt ihm und der FDP weiter nach. Kaum ein Interview, in dem der Vorsitzende nicht zur Frage Stellung nehmen muss, ob das Nein nicht doch ein schwerer Fehler war. Was bleibt, ist für die nahe Zukunft die Oppositionsrolle - Anfragen, Debatten, aber eben kein Ministeramt, kein Einfluss. "Wir haben uns für den harten Weg entschieden, das ist wahr", sagte Lindner im Interview mit dem SPIEGEL.
Auf dem Bundesparteitag richtet sich der Blick der meisten Delegierten nach vorne, so zumindest lautet das Kalkül der Führung. Es geht diesmal um inhaltliche Arbeit - Satzungsfragen, Digitales, Russland, die deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa, das Atomprogramm des Iran, das Verhältnis zu China. Wahlen zu Parteigremien stehen nicht an.
Die FDP sucht ihre neue Rolle. Als "Innovationstreiber" verstehe sich die Partei, so formulierte es jüngst FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Ein Schlagwort, das sich in abgewandelter Form im Leitantrag wiederfindet. Dort werden unter dem Titel "Chancen ergreifen, Wandel gestalten - für ein Deutschland der Innovation" die Herausforderungen auf 22 Seiten heruntergebrochen - auf Themen wie flexible Arbeitszeit, neue Berufsfelder, Schutz der Privatsphäre, Mobilität, künstliche Intelligenz, Forschung, Gesundheitspolitik, Verwaltung, Klimaschutz. Die FDP, das wird in dem Papier deutlich, sorgt sich um das ganz Große.
Streit mit FDP-Vize Kubicki
Vom "Sprung ins nächste Deutschland" ist da die Rede. Doch das Werbedeutsch der FDP ist das eine, das andere ist die reale Welt der Partei. Die Geschlossenheit, die Lindner in den vergangenen Monaten stolz hervorhob, ist zunächst einmal dahin.
Die FDP ringt auf dem Parteitag vor allem um die EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland. Der Landesverband Thüringen hat dazu einen Antrag eingebracht, in dem eine "Neuausrichtung" verlangt wird. Sanktionen sollten auf Waffenverkäufe und auf Güter beschränkt sein, die sowohl für einen zivilen und militärischen Verwendungszweck gebraucht werden könnten. Dagegen steht ein Antrag des Bundesvorstands, der weiter auf EU-Sanktionen setzt, sich aber für eine Rückkehr Russlands in das Format des G-7-Gipfels ("G-7 plus 1") ausspricht.
Der Russland-Streit wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Lindner zu seinem Parteivize Wolfgang Kubicki. Seit dem Herbst 2013, als beide nach dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag in höchste Parteiämter gelangten, pflegten sie einen Burgfrieden. Mitte März sprach sich der umtriebige Anwalt aus Schleswig-Holstein für ein schrittweises Ende der Sanktionen aus, beim Vorstandsbeschluss enthielt er sich der Stimme. Seine Rede auf dem Parteitag wird daher mit Spannung erwartet. Kubicki hat einen Änderungsantrag zum Papier des Vorstands eingebracht, in dem es heißt, die Strafmaßnahmen hätten bislang "keine erkennbaren Fortschritte in Richtung der gewünschten deeskalierenden und friedensstiftenden Wirkung", ein "dosiertes Entgegenkommen" solle daher nicht ausgeschlossen werden.
Als Lindner kürzlich beim Frühjahrsempfang der FDP-Bundestagsfraktion die Erfolge der FDP herausstrich, fragte ein führender Liberaler Umstehende: "Und hat er gesagt, was wir in den nächsten dreieinhalb Jahren wollen?" Die Frage steht tatsächlich im Raum. Jüngst schrieb "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt, nach der Rettung der Partei warte auf Lindner "der Kampf gegen den Wiederabstieg." Lindner habe "Enormes geleistet, aber seine Themen sind fürs Erste auserzählt."
Der FDP-Chef reagierte darauf jüngst im SPIEGEL. Statt solche "Metadebatten" zu führen, spreche er lieber darüber, dass es noch längst nicht eine Integrations- und Einwanderungspolitik gebe, die das Land brauche, auch werde es der "breiten Mitte des Landes" nicht erleichtert, "im Leben wirtschaftlich voranzukommen".
Anteil von Frauen sinkt
Lindners FDP gibt derzeit ein gemischtes Bild ab: In Umfragen liegt sie zwischen sieben bis neun Prozent und damit unter dem Ergebnis der Bundestagswahl von 10,7 Prozent. Bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein - wo sie auf Landesebene in einer Jamaika-Koalition regiert - legte sie hingegen leicht zu, im thüringischen Jena stellt sie künftig den Oberbürgermeister.
Auch die Mitgliederzahlen sind gestiegen, doch ein anderes Problem verschärft sich: Der Anteil von Frauen unter den rund 64.000 Mitgliedern sank auf knapp 22 Prozent, bei neuen Mitgliedern im vergangenen Jahr sogar auf etwa 18 Prozent. Eine Arbeitsgruppe soll bis November Konzepte erarbeiten, wie mehr Frauen in die FDP zu holen sind.
Sogar das Tabu einer Frauenquote steht auf der Themenliste. Kürzlich wurde eine Onlineumfrage zum Thema Frauen unter den weiblichen FDP-Mitgliedern durchgeführt, erste Ergebnisse sollen auf dem Parteitag vorgestellt werden.
Im Frühjahr 2017, als die FDP in der Bahnhofshalle der "Station Berlin" ihr Wahlprogramm verabschiedete, war dies der Beginn einer Kampagne, die in einem auf Lindner zugeschnittenen Bundestagswahlkampf mündete. Doch die Zeit, in der pfiffige Slogans der FDP Aufmerksamkeit versprachen, könnte sich ihrem Ende zuneigen.
Eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, erstellt im Auftrag der gewerkschaftseigenen Otto Brenner-Stiftung, beschreibt das Dilemma so: Die "Superlativrhetorik" des Wahlkampfs mit Slogans wie "Weltbeste Bildung für jeden" oder "Manchmal muss ein ganzes Land vom 10er springen" stünden im Widerspruch zu den Erwartungen "einer pragmatisch-bürgerlichen Klientel". Das "neue Image" der FDP sei "an dieser Stelle beschädigt".