Große Koalition: Ex-Parteigrößen aus Union und SPD geben ungefragt Ratschläge
Ex-Parteigrößen und die GroKoStress mit den Ex
Die Alten rufen nach Erneuerung: Während Deutschland auf die Regierung wartet, melden sich einstige Parteigrößen aus Union und SPD zu Wort - mit unerbetenen Tipps, Kritik und Warnungen.
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Angela Merkel, Roland Koch, Edmund Stoiber (im September 2005)
In der Politik ist ja jetzt viel von Verjüngung die Rede: Die CDU, die CSU, die SPD, alle wollen jünger werden - wenn schon wieder Große Koalition, dann doch bitte mit ein paar frischen Gesichtern.
Bemerkenswert dabei: Es ist nicht nur der Parteinachwuchs, der lautstark nach Erneuerung ruft. Auch die Altvorderen melden sich in diesen Tagen vor dem CDU-Parteitag und dem entscheidenden SPD-Mitgliedervotum gleich reihenweise zu Wort.
Einstige Parteigrößen, Ausgestiegene und Abservierte kritisieren, mahnen und geben Ratschläge, was nach den schwachen Wahlergebnissen zu tun ist. Manches Wort hat noch Gewicht - auf andere Einwürfe könnten Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles sicher gut verzichten.
Der frühere Verteidigungsminister und ehemalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe attackierte Kanzlerin Merkel für Zugeständnisse an die SPD bei den Koalitionsverhandlungen. "Merkel hat für die Zukunft der CDU - und darum sollte es ihr mehr gehen als um ihre eigene Gegenwart - desaströs verhandelt!", sagte er dem "Stern".
Kritik kam auch von Ex-Fraktionschef Friedrich Merz: "Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben", sagte der langjährige Gegner von Merkel der "Bild", nachdem die Union in den Koalitionsverhandlungen das Finanzministerium an die SPD abgetreten hatte.
Der langjährige CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach kritisierte ebenfalls die Ressortverteilung bei den Koalitionsverhandlungen. "Völlig unverständlich" sei ihm die Preisgabe des Finanzministeriums, sagte er dem "Münchner Merkur".
Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch forderte die CDU-Chefin Merkel auf, ihre Nachfolge zu regeln. "Die Parteiführung, und eben auch die Vorsitzende Angela Merkel, schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Hamburgs früherer Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) forderte von Merkel ebenfalls ein klares Zeichen der personellen Erneuerung. Sie selbst stehe nicht zur Disposition, sagte er der "Bild", "aber sie sollte jetzt klare Zeichen der personellen Erneuerung in der Spitzenmannschaft von Partei und Kabinett setzen". Seine Warnung: Der Volksparteicharakter der Union sei "ernsthaft in Gefahr".
Der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber hatte Ratschläge für die SPD parat. Er rief die Sozialdemokraten zu einer zügigen Entscheidung über die Koalition auf. "Die Menschen erwarten jetzt, dass der quälende Entscheidungsprozess in der SPD so schnell wie möglich beendet wird", sagte er der "Rheinischen Post".
Dabei haben die Sozialdemokraten die Senioren-Tipps aus der Union gar nicht nötig. Schließlich gibt es auch bei den Genossen genügend Ehemalige, die sich nun berufen fühlen, ihre Meinung kundzutun. Ex-Parteichef Rudolf Scharping warnte in der "Rhein-Zeitung" vor Neuwahlen, diese wären "ein lebensgefährliches Risiko für die SPD" und "schlecht für Deutschland". Aus seiner Sicht ist die Lage der SPD "so ernst wie noch nie in der Bundesrepublik".
Auch Hans-Jochen Vogel, ebenfalls ein früherer SPD-Chef, glaubt nicht, dass die SPD bei Neuwahlen profitieren würde. Dem
"Münchner Merkur" sagte er: "Frau Merkel hat zwar vor Kurzem erstmals das Wort Minderheitsregierung in den Mund genommen. Aber es erscheint mir wahrscheinlicher, dass es Neuwahlen geben wird. Die würden nur der AfD nutzen. Wir hätten eher ein weiteres Minus zu erwarten."
Andrea Ypsilanti hat die Genossen jüngst mit einem kritischen Buch zur SPD geärgert. Auch den Koalitionsvertrag kritisierte die frühere hessische SPD-Chefin: Dieser ändere nichts an der Verteilung des Reichtums in Deutschland. Er beschäftige sich "nur mit Reparaturen" des kapitalistischen Systems.
Der frühere Parteichef Franz Müntefering forderte im WDR dagegen energisch ein Ja zur GroKo: "Wenn wir das nicht beschließen, wäre das eine Katastrophe und würde uns in die Bedeutungslosigkeit zurückwerfen."
Altkanzler Gerhard Schröder drängte in München ebenfalls auf ein Ja der SPD-Basis zur GroKo. Er hoffe, dass sich die "kollektive Vernunft engagierter Mitglieder durchsetzt". Zumal die SPD bei den Verhandlungen ein Ergebnis erreicht habe, "das sich wahrlich sehen lassen kann".
Ex-Minister Erhard Eppler äußerte sich zur Personalie Gabriel. "Ich bin sehr froh, dass Sigmar Gabriel nun seine Arbeit im Auswärtigen Amt fortsetzen kann. Die Idee, den populärsten Sozialdemokraten kaltzustellen, wäre eine raffinierte Form der Parteischädigung", sagte der SPD-Veteran der "Welt am Sonntag". Dass Gabriel wirklich seine Arbeit fortsetzen kann, ist indes ungewiss.
Hamburgs früherer SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi knöpfte sich im Deutschlandfunk Martin Schulz vor. Dieser sei als SPD-Chef ein "historischer Irrtum" gewesen. "Ich finde, er ist kein Mann mit einem politischen Instinkt. Er hat große Fehler gemacht und an diesen Fehlern gegenwärtig nagen dann auch noch seine Nachfolger."
Björn Engholm kritisierte den Streit zwischen Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel: "Ich finde beider Verhalten als unangemessen", sagte der einstige Parteichef der "Heilbronner Stimme".
Auch der frühere SPD-Chef Kurt Beck beklagte das Postenchaos in der Partei. "Der Wert der Solidarität zählt in der SPD offensichtlich nicht mehr so viel, wenn es um Posten und Personal geht", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.