Mögliche Große Koalition Der schwarz-rote Basar ist eröffnet
Steuererhöhungen, Betreuungsgeld, Mindestlohn - in möglichen Koalitionsverhandlungen müssten Union und SPD über viele Streitthemen einig werden. Hinter den Kulissen wird bereits über Kompromisse, Zugeständnisse und Posten nachgedacht.
Berlin - Angela Merkels Sieg liegt keine Woche zurück, schon geht der erste Aufschrei durchs Land: "Wahllüge", rufen die einen, "Wortbruch" etwas vornehmer die anderen. Denn bevor die Union überhaupt Gespräche über eine mögliche Koalition vereinbart hat, ist die erste Debatte darüber ausgebrochen, ob CDU und CSU potentiellen Partnern mit Steuererhöhungen entgegenkommen könnten. Dabei hatte die Kanzlerin diese im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Eilig versucht die Union, alles wieder einzufangen: Wir sind weiter dagegen!
Natürlich bedeutet das nicht, dass die Steuern nicht erhöht werden. Denn tatsächlich wird hinter den Kulissen längst hin und her überlegt, wie die Parteien angesichts des vertrackten Wahlergebnisses zueinanderfinden können. Das gilt vor allem für die wahrscheinliche Variante der Großen Koalition. Intern spielen Union und SPD das Szenario für eine künftige Zusammenarbeit durch, bei der beide Seiten das Gesicht wahren können.
Welche Forderungen sind nicht verhandelbar? Wo gibt es Kompromissmöglichkeiten? Wer bekommt welche Posten? Der schwarz-rote Basar ist eröffnet:
- Die Steuerpolitik war im Wahlkampf das größte Konfliktfeld. Während die SPD gerne an mehreren Schrauben drehen würde, blockt die Union ab. Die Sozialdemokraten dürften darauf beharren, stärkere Schultern mehr zu belasten, um Geld für Bildung und Infrastruktur lockerzumachen. Die Union könnte sich eine Zustimmung zu einem höheren Spitzensteuersatz mit einer Bekämpfung der kalten Progression bezahlen lassen. Die Kanzlerin könnte dann immer noch behaupten, dass die Bürger unterm Strich nicht höher belastet würden. Die Vermögensteuer würde wohl eher nicht kommen, sie ist selbst unter Sozialdemokraten umstritten. Im Kampf gegen die Steuerflucht, ein Lieblingsthema der Genossen, gibt es dagegen Einigungschancen: Hier könnten Milliarden eingetrieben werden, die der Fiskus dringend braucht.
- In der Rentenpolitik dürfte man schnell zusammenkommen: Verbesserungen bei der Mütterrente und im Kampf gegen Altersarmut sind machbar. An anderer Stelle ginge es ans Eingemachte: Wenn die SPD in einem Koalitionsvertrag eine sozialdemokratische Handschrift durchsetzen will, muss sie beim flächendeckenden Mindestlohn punkten. Union und SPD könnten sich auf eine einheitliche Untergrenze von 8,50 Euro pro Stunde einigen. Die Union würde aber auf einer starken Rolle der Tarifpartner bestehen. CDU/CSU müssten den Sozialdemokraten wohl auch bei der Begrenzung von Leih- und Zeitarbeit entgegenkommen. Kaum Einigungschancen gibt es in der Gesundheitspolitik. Der SPD-Vorschlag einer Bürgerversicherung stößt in der Union nicht auf Gegenliebe.
- An der Energiewende würde eine Große Koalition nicht scheitern. Beide Parteien wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schnell reformieren, um die hohen Fördersätze für Ökostrom zu begrenzen. Die SPD würde gerne auch die Stromsteuer senken, um die Haushalte zu entlasten - darauf wird sich die Union wohl nicht einlassen. Auf die Industrie wollen sowohl Union als auch SPD Rücksicht nehmen. Kohle- und Gaskraftwerke werden nach Ansicht beider Parteien weiterhin gebraucht. Vorstellbar ist, dass die Union sich dem Plan der SPD fügt, ein Energieministerium zur Bündelung der Interessen einzurichten.
- Das Betreuungsgeld abschaffen? Da wird die CSU nicht mitspielen. Für die SPD wäre es schon ein Erfolg, wenn sie im Vertrag verankern könnte, dass die Leistung irgendwann auf ihre Effektivität geprüft wird. Bei der Gleichstellung der Homo-Ehe im Steuer- und Adoptionsrecht könnte die Union unter Schmerzen einlenken. Sie weiß, die Gerichte werden sie ohnehin früher oder später dazu verdonnern. Bewegung ist in der Integrationspolitik vorstellbar: Manche Christdemokraten können sich die doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie die SPD fordert, vorstellen. Man könnte sich mit einem Prüfauftrag behelfen.
- Bei der Euro-Rettung wird die SPD nicht am Führungsanspruch der Kanzlerin rütteln können. Euro-Bonds oder einen Schuldentilgungsfonds lehnt Merkel ab. Fraglich ist, ob die Sozialdemokraten mit ihren Vorbehalten gegen Bankenhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm durchdringen und auf der Idee eines eigenen Bankenfonds beharren. Im nationalen Alleingang geht hier ohnehin nichts.
- Streit könnte es um die Besetzung der Ministerämter geben. Schon jetzt reklamieren manche in der SPD die Hälfte der Posten, darunter das wichtige Finanzministerium. Schwierig für Merkel, sie verlöre ihr Schwergewicht Wolfgang Schäuble. Stattdessen könnte sie der SPD bei der Anzahl der Minister entgegenkommen - entgegen der realen Kräfteverhältnisse.
Am Freitag will die SPD auf ihrem Parteikonvent festlegen, wie sie die Gespräche mit der Union angeht. Schon nächste Woche könnte sondiert werden. Das große Geschacher dürfte dann bald starten.