Ja zu Stuttgart 21 Souveräne Schwaben
Das Ja zum Bahnhofsprojekt S21 hat sich durchgesetzt, gewonnen aber haben nicht nur die Befürworter. Denn die Baden-Württemberger haben sich das Recht erkämpft zu entscheiden - und gezeigt, dass es sich lohnt, mehr direkte Demokratie zu wagen.
Die Baden-Württemberger haben entschieden und wieder einmal Geschichte geschrieben. Am 27. März dieses Jahres haben die Bürger im Südwesten die Christdemokraten nach 58 Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank verwiesen und den ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik gewählt. Am 27. November, neun Monate nach der Landtagswahl, hat der Bürger bei der ersten Volksabstimmung im Ländle die Dauerdiskussion um das Bahnprojekt Stuttgart 21 nun mit der ihm eigenen Souveränität für beendet erklärt.
Eine deutliche Mehrheit von 58,8 Prozent stimmte für den Weiterbau des Tiefbahnhofs. Und das bei einer Rekord-Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent.
Zum Vergleich: Beim Volksentscheid für das Rauchverbot in Bayern lag die Wahlbeteiligung bei 37,7 Prozent, bei der Abstimmung über die Schulreform in Hamburg bei rund 39 Prozent. Bei der Landtagswahl 2006 gingen in Baden-Württemberg nur rund 53 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne.
Die Volksabstimmung im Ländle wird deshalb nachwirken. Wer glaubt, bei dem Streit um Stuttgart 21 seien nur viel Geld und Zeit und Nerven verloren gegangen, der denkt zu kurz.
Das klare Ergebnis der Abstimmung zeigt allen Gegnern des Bahnhofs noch einmal deutlich, dass eine "gefühlte Mehrheit", wie man sie mitunter bei Demonstrationen am Bauzaun erlebt, eben doch nur das sein kann: gefühlt. Selbst in Stuttgart lagen sie mit 47,1 Prozent der Stimmen deutlich hinter den S21-Befürwortern mit 52,9 Punkten. Auch kein noch so niedriges Quorum hätte ihnen heute einen Sieg ermöglicht. Die Verlierer werden sich jetzt mit den Worten von Ministerpräsident und Bahnhofsgegner Winfried Kretschmann trösten müssen: "Als Demokrat muss man das auch sportlich nehmen."
Kretschmann, der Bürgerversteher, muss nun beweisen, dass er ein Ministerpräsident für alle Baden-Württemberger sein kann.
Diese Abstimmung war gut - aber sie kam viel zu spät
Und den Bahnhofsbefürwortern sowie allen bundesweiten Skeptikern von plebiszitären Entscheidungen zeigt das baden-württembergische Votum, dass die Politik keine Angst haben muss vor mehr direkter Demokratie. Dass eine Volksabstimmung die repräsentative Demokratie nicht gefährdet, sondern ergänzen kann. Dass man sich damit nicht automatisch dem Diktat einer engagierten Minderheit unterwirft. Und dass auch für eine Mehrheit der Bürger, vor allem der sprichwörtlich schaffigen Schwaben, selbstredend der Grundsatz gilt "Pacta sunt servanda" - Verträge müssen eingehalten werden.
Klar ist dennoch: Diese Volksabstimmung zu Stuttgart 21 kam zu spät. Viele Jahre zu spät. Sie kann deshalb in Ihrem Zustandekommen kein bundesweites Vorbild sein. Eine solche Volksabstimmung muss sinnvollerweise am Anfang eines Entscheidungsprozesses stehen - nicht an dessen Ende.
Bereits 2007 hatten 67.000 Stuttgarter für einen Bürgerentscheid votiert, dreimal mehr als eigentlich notwendig. Doch der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnte das Begehren ab. Formaljuristisch mag die Entscheidung damals zwar korrekt gewesen sein, doch die Folgen konnte man in den letzten beiden Jahren in Stuttgart tagtäglich beobachten. Die heutige Wahlbeteiligung in Stuttgart ist mit 67,8 Prozent deshalb auch ein deutliches Signal an die Rathaus-Politiker.
Die wichtigste Lehre des 27. November jedoch ist die gleiche wie die des 27. März: Eine Bürgergesellschaft kann viel erreichen. Atomausstieg, Schlichtung, Stresstest. Die Baden-Württemberger haben in diesem Jahr gelernt, dass es sich in einer Demokratie lohnt, sich zu engagieren.
Aber von Politikverdrossenheit spricht in Stuttgart sowieso schon lange niemand mehr.