Jamaika-Abbruch Wie regieren, wenn man sich nicht vertraut?
Das Ende der Jamaika-Gespräche ist zwar enttäuschend, aber folgerichtig, sagt Gerhart Baum. Der ehemalige FDP-Innenminister verteidigt Christian Lindners Ausstieg - und wagt einen Blick in die Zukunft.
- DPA
In der Republik werden die Karten neu gemischt. Das Scheitern der Verhandlungen hat mich und viele Bürger überrascht und enttäuscht. Ich hätte mir die Jamaikakoalition schon deshalb gewünscht, weil sie den Partnern ein Höchstmaß an Kompromissfähigkeit abverlangt hätte, um aus unterschiedlichen Positionen und Grundeinstellungen einen gemeinsamen Weg zu finden. Das hätte dem Land gutgetan.
Viele derjenigen, auch in der FDP, die ihre ganze Kraft in die Verhandlungen eingebracht haben, sind enttäuscht. Erst langsam lichtet sich der Nebel. Die Fakten werden sichtbar. Die Verhandlungsführer der FDP haben die Erkenntnis gewonnen , dass eine dauerhaft handlungsfähige Regierung nicht zustande kommen würde. Ich gehe davon aus, dass sie nicht leichtfertig zu diesem Urteil gekommen sind, sondern verantwortungsvoll gehandelt haben.
Die FDP verzichtet freiwillig auf die Mitgestaltung der Regierungspolitik in den nächsten Jahren. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung. Schon der chaotische Ablauf der Sondierungen lässt den Schluss zu, dass die Verhandlungsführer nicht auf einem guten Weg waren. Warum muss man so viel im Einzelnen festlegen? Dahinter steckt Misstrauen. Wie will man mit unvorhergesehenen Situationen in den nächsten Jahren umgehen, wenn man sich nicht vertraut?
Ich habe an Koalitionsverhandlungen mit Brandt, Schmidt und Kohl teilgenommen. Keine war so geschwätzig öffentlich begleitet worden wie diese. Keine war so schlecht organisiert. Warum hat man darauf verzichtet, frühzeitig die Hauptstreitpunkte zu klären, wie das früher der Fall war? Vertrauen ist trotz aller äußerlicher Gesten offenbar nicht wirklich aufgebaut worden. Eine Aufbruchstimmung, wie sie das Land braucht, ist nicht entstanden.
Die Abbruchentscheidung haben die anderen Verhandlungspartner geschickt genutzt, von ihrer Verantwortung abzulenken und der FDP die volle Verantwortung zuzuschieben, indem sie den Eindruck erweckt haben, man hätte kurz vor einer Einigung gestanden. Wie wir heute wissen, war das nicht der Fall, jedenfalls nicht in Punkten, die für die FDP wichtig waren. Es gab Einigungen, auch durchaus gute Kompromisse, aber einige waren sehr brüchig. In wichtigen Punkten gab es keine Übereinstimmungen - und dann eher Einigungen zwischen CDU/CSU und Grünen. In wichtigen Punkten, die ihr Selbstverständnis berühren, ist die FDP nicht durchgedrungen.
Wie geht es weiter?
- Ob es zu Neuwahlen kommt, das ist völlig offen. Ebenso, ob Merkel vom Bundestag gewählte Kanzlerin wird und dann erneut Koalitionsgespräche führt.
- Der Bundespräsident sollte nicht nur dazu aufrufen, dass eine Regierung zustande kommt. Das Grundgesetz fordert von den Parteien eine handlungsfähige Regierung.
- Die CDU muss entscheiden, ob sie die Verhandlungen weiterhin allein der Kanzlerin überlässt, deren Führungskraft nachlässt. Auch sie ist für das Scheitern verantwortlich.
- Die CSU muss ihr Führungsproblem lösen. Sie sollte dem Ziel einer absoluten Mehrheit nicht ihre Identität unterordnen. Absolute Mehrheiten sind im neuen Mehrparteiensystem ohnehin nicht mehr erreichbar.
- Die SPD hat schmerzhafte Führungs-und Koalitionsentscheidungen zu treffen - und das möglichst schnell. Sie wird spätestens im Falle von Neuwahlen erklären müssen, ob sie eine Koalition mit den Unionsparteien auch nach einer Wahl ausschließt.
- Die FDP sollte an ihrem klaren liberalen Profil festhalten. Für eine Kursänderung besteht kein Anlass. Weiterhin müssen AfD-Positionen, auch in Sachen der Zuwanderung, strikt abgelehnt werden. Die FDP sollte noch deutlicher als "Europa-Partei" erkennbar werden. Und sie muss sich auch in Zukunft unter akzeptablen Bedingungen Regierungsoptionen offenhalten.