S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Gerechtigkeit für Jürgen Trittin
Jürgen Trittin muss sich wegen einer Unterschrift in der Pädophilie-Debatte rechtfertigen. Aber warum trifft die Empörung jetzt nur die Grünen? Das berühmte "Kursbuch", Leitmedium der linken Intelligenz, beschrieb sogar Fummelspiele mit einer Dreijährigen.
Die Grünen haben in ihrer Geschichte viel Irrsinn getrieben und geschrieben. Eine Reihe von Spitzenleuten hat mit Baader-Meinhof sympathisiert, Mao hochleben lassen und den roten Terror verharmlost - alles ohne Folgen für die anschließende Heimischwerdung im Staatsdienst. Nicht einmal Grußbotschaften an Pol Pot konnten einem in diesem Milieu die Karriere verhageln: Der Langzeitstudent Joscha Schmierer brachte es nach Engagements als Unischreck, Krawalldemonstrant und Massenmörder-Apologet unter seinem Freund Joschka Fischer bis in den Planungsstab des Auswärtigen Amts.
Auch Jürgen Trittin hat eine bewegte Vergangenheit. Bevor er den Deutschen das Dosenpfand und den Biodiesel beibrachte, war er beim Kommunistischen Bund - unter allen Splittergruppen, in denen man in den siebziger Jahren den Systemwechsel herbeibetete, sicherlich eine der absonderlichsten. Anstelle der vom KB erwarteten "Faschisierung" der deutschen Gesellschaft kam es zur durchgehenden Grünisierung, woran der zwischenzeitlich zum Bundesumweltminister aufgestiegene Managersohn keinen geringen Anteil hatte. Bis Anfang der Woche galt Trittin für den Fall einer grünen Regierungsbeteiligung als Vizekanzler und nächster Außenminister.
Wie sich herausstellte, hat Trittin vor 32 Jahren neben diversen Aufrufen zur Revolution auch ein kommunales Wahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste in Göttingen unterschrieben, in der eine Passage aus dem Grundsatzprogramm seiner Partei zur weitgehenden Straffreiheit der Pädophilie übernommen wurde. Trittin war damals einer der Kandidaten für den Göttinger Stadtrat, als solcher saß er in der Schlussredaktion des Wahlprogramms. Er hat nie selbst Sex mit Kindern propagiert, entsprechende Texte verfasst oder sich auf Parteitagen für eine Straffreiheit stark gemacht, er hat die Forderung vor 32 Jahren nur presserechtlich verantwortet. Das reicht einigen, um jetzt seinen Rücktritt zu fordern. Man fragt sich, ob ein Politiker des Jahres 2045 mit einem Tweet des Jahres 2013 zu Fall gebracht werden wird, hat Frank Schirrmacher vor zwei Tagen geschrieben. Das ist eine naheliegende Frage angesichts der aktuellen Diskussion.
Das Pech der Grünen ist, dass von ihren vielen Provokationen nun eine Provokation mit einer Wucht zündet, die sie selbst nie für möglich gehalten hätten. Lebensgeschichtlich hätte der Zeitpunkt, an der diese Lunte ihr Ziel erreichte, für viele nicht unglücklicher gewählt sein können: Was einen im Studentenalter allenfalls die Unterstützung der Eltern kostet, kann einen an der Schwelle zur Rente um die letzte Runde vor der Pensionierung bringen.
Keine politische Gruppierung hat ihre moralische Reputation so sehr auf der Opfervertretung aufgebaut wie die Grünen. Deshalb sind sie jetzt auch so wehrlos. Gegen Betroffenheit ist kein Kraut gewachsen. Das weiß niemand besser als die Vertreter der Umweltpartei, die immer zur Stelle sind, wenn es darum geht, sich im Namen des Mitleids in Szene zu setzen. Alles, was den Grünen jetzt einfällt, ist, um einen Aufschub der Debatte über den Tag der Wahl hinaus zu bitten. Niemand traut sich die Frage zu stellen, was an der Behauptung dran ist, ihre Liberalisierungsforderungen hätten dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
"Es war der Zeitgeist, der allerdings war links"
Als Beweis für die These, dass es nicht bei programmatischen Ankündigungen geblieben ist, dienen die Äußerungen von Daniel Cohn-Bendit über Sex mit Minderjährigen in seiner Zeit als Kindergärtner. Man kann lange darüber spekulieren, ob es sich hierbei um Erlebnisprosa handelt oder die auf den Knalleffekt berechneten Phantasien eines Berufsprovokateurs. Man muss nur irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass sich trotz intensiver medialer Nachforschung bislang nicht ein Opfer gemeldet hat, das angibt, von Cohn-Bendit als Kind belästigt worden zu sein. Wer den Unterschied zwischen losem Reden und wirklichem Übergriff nicht mehr gelten lässt, begibt sich auf den Weg ins Totalitäre. Dann kann irgendwann jeder Satz als Anstiftung verstanden werden.
Alice Schwarzer hat darauf hingewiesen, dass es nicht nur die Grünen waren, die eine im Nachhinein schwer erklärbare Verwirrung ergriffen hatte, wo die Grenzen im Umgang mit Kindern liegen: "Es war der Zeitgeist, der allerdings war links", schrieb sie vergangenen Monat. Wem es ernst ist mit der sexualpolitischen Vergangenheitsbewältigung, müsste auch Leute wie Hans Magnus Enzensberger befragen, was sie sich dabei gedacht haben, im vielbewunderten "Kursbuch" ein Protokoll abzudrucken, in dem ein 26-Jähriger Fummelspiele mit der dreijährigen Tochter eines Freundes beschreibt. Dem "Kursbuch" lag ein Bilderbogen bei, der die Größe eines "Bravo"-Posters hatte und unter der Überschrift "Liebesspiele im Kinderzimmer" eine Fotofolge zeigte, die man heute in einem Pädophilenblatt vermuten würde, aber nicht in einem Leitmedium der linken Intelligenz.
Dann wäre man allerdings bei einem Forschungsprojekt, das grundsätzlich die Frage stellt, wo der unbedingte Fortschritts- und Umerziehungsglaube in Wahnsinn umschlägt.