Streit um Kanzler-Notizen Kohls Weggefährten fordern Archivzugang
Parteispendenskandal hin oder her: Helmut Kohl ist längst zur historischen Figur geworden. Jetzt gibt es Streit mit dem Ex-Kanzler und seiner Gattin, wer Zugang zum Privatarchiv haben soll: Weggefährten wollen es für Forscher öffnen.
Berlin - Horst Teltschik ist ein Augenzeuge der Wende von 1989. Die deutsche Einheit erlebte er als Berater an der Seite Helmut Kohls. Dieser Tage, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, bekommt Teltschik viele Interviewanfragen - sogar aus den USA und Asien. "Ich kriege hier fast pausenlos solche Bitten", sagt er.
In seinem Haus in Bayern bewahrt er noch Tagebücher von damals auf. Darin hielt er genau fest, mit wem er was im Kanzleramt besprach. Irgendwann möchte Teltschik sie an ein Archiv geben: "Die kommen dann zur Konrad-Adenauer-Stiftung", sagt er.
An die CDU-nahe Stiftung können sich dann Forscher wenden - und um Einsicht bitten. Es ist der Ort, an den viele Notizen und Unterlagen von CDU-Politikern gehen. Dort lagerten bis vor einigen Jahren auch noch die privaten Aufzeichnungen Kohls. Doch Ende 2010 ließ der Altkanzler sein privates Handarchiv, das er kurz nach seiner Abwahl im Jahr 1998 der Stiftung übergeben hatte, in sein Privathaus nach Oggersheim bringen. (Die ganze Geschichte lesen Sie hier im aktuellen SPIEGEL.) Kohl benötige die rund 400 Aktenordner für die Abfassung des vierten Bandes seiner Memoiren, so die offizielle Version.
In der CDU befürchten aber nun manche, dass dessen zweite Ehefrau Maike Kohl-Richter Einfluss auf die Auswahl des Materials üben wolle. Sogar von einer möglichen eigenen Stiftung ist die Rede, die Kohl-Richter ins Auge gefasst haben soll.
Kohl-Richter äußert sich nicht gegenüber dem SPIEGEL, ließ aber jüngst in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" durchblicken, dass sie eine Regelung für den Nachlass ihres Mannes anstrebt.
Teltschik, Wimmer und Vogel äußern sich
Frühere Weggefährten des Kanzlers sehen die ungewisse Zukunft des Handarchivs mit Unwohlsein. Sie finden, dass Kohls Unterlagen der Wissenschaft zugänglich sein sollten. So sieht es auch Teltschik. In den Streit zwischen Adenauer-Stiftung und dem Kohl-Ehepaar will er sich nicht einmischen. Es gebe die Möglichkeit, das Material der Adenauer-Stiftung zu übergeben oder eine neue zu gründen, sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE und fügt hinzu: "Welche Lösung auch immer gefunden wird, es sollte dabei aber ein öffentlicher Zugang - etwa für Historiker - möglich sein."
Der Ehrenvorsitzende der Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, hat sich festgelegt. Im SPIEGEL bat er Kohl und seine Frau, die Akten der Stiftung wieder zurückzugeben. "Natürlich ist Helmut Kohl mehr als eine Privatperson. Deshalb hat auch die Öffentlichkeit einen Anspruch auf seinen politischen Nachlass", so der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen.
Es gebe mittlerweile eine Reihe renommierter britischer, amerikanischer und sogar asiatischer Historiker, die sich akribisch mit dem Aktenmaterial der Kohl-Ära beschäftigten, sagt Teltschik. "Ich wünsche mir daher, dass Forscher - ob national oder international - eines Tages die Möglichkeit bekommen, auch Helmut Kohls privates Archiv einsehen und nutzen zu können." Sorgen, dass dabei Kohls Bild lädiert werden könnte, hat er nicht. "Ich bin sicher, das würde den Ruhm Kohls mehren", sagt Teltschik.
Tonbänder im Hause Kohl
Ähnlich sieht es Willy Wimmer, einst parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium Kohls. Es sei klar, dass die "höchstpersönlichen Erinnerungen in die ausschließliche Verfügungsgewalt des Altkanzlers" gehörten, stellt der Christdemokrat und Ex-Bundestagsabgeordnete gegenüber SPIEGEL ONLINE fest. Er appelliert indirekt an die jetzige Ehefrau Maike Kohl-Richter, die privaten Aufzeichnungen eines Tages zur Verfügung zu stellen. "Es wäre zu begrüßen, wenn die interessierte Öffentlichkeit einen ungehinderten Zugang zu diesen Materialien erhält, wenn es dafür einen berechtigten Anlass gibt", sagt er.
Interessant dürften in diesem Zusammenhang auch jene Interview-Tonbänder sein, die vor einigen Jahren bei 105 Treffen des Journalisten Heribert Schwan mit dem Altkanzler entstanden und bei der Abfassung der ersten (bereits erschienenen) drei Memoirenbände herangezogen wurden. Schwan musste nach dem Zerwürfnis mit dem Ehepaar Kohl und nach einer erfolgreichen Klage Kohls vor dem Landgericht Köln die Bänder herausgeben - was er am 12. März dieses Jahres tat. Nun lagern auch sie im Privatarchiv Kohls in Oggersheim. Teltschik hofft, dass sie eines Tages doch noch ausgewertet werden können. "Ich vermute, auch diese Bänder wären für Forscher sehr, sehr spannend", sagt er.