Ausländerpolitik Kohl verteidigt seine Äußerungen über Türken
Altkanzler Kohl steht zu seinen jetzt bekannt gewordenen Äußerungen zur Ausländerpolitik von 1982. Der Plan, die Zahl der Türken in Deutschland zu halbieren, sei damals Teil einer breiten Debatte gewesen, erklärt sein Büro. Die türkische Gemeinde zeigt sich gelassen.
Berlin - Er hat es so gesagt, es war so gemeint, und er steht auch heute noch dazu: Helmut Kohl hat seine 30 Jahre alten Äußerungen zur Ausländerpolitik verteidigt. Nach dem SPIEGEL-ONLINE-Bericht über Aussagen des damaligen Kanzlers in britischen Geheimprotokollen aus dem Jahr 1982 nahm sein Berliner Büro am Freitag Stellung. Kohls Plan, die Zahl der in Deutschland lebenden Türken zu halbieren, "war damals auch in Deutschland bereits Teil einer hinreichend und breit geführten Debatte zur Ausländerpolitik", heißt es darin.
Kohls damalige Position sei in dem britischen Papier korrekt wiedergegeben, teilte das Büro nach persönlicher Rücksprache mit dem Altkanzler mit. Ob er sie auch heute noch für richtig hält, blieb offen. "Herr Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl wird sich in der aktuellen Debatte nicht weiter äußern", heißt es in der Stellungnahme.
Kohl hatte den Ansatz von 1982 in seiner späteren Politik ohnehin nicht weiterverfolgt: 1993 setzte er gegen innerparteiliche Widerstände durch, dass Ausländer der dritten Generation, die in Deutschland geboren wurden, den deutschen Pass bekommen konnten und erleichterte damit die Einbürgerung. Die Migranten trügen "ganz erheblich zum Wohlstand der Deutschen" bei und sicherten deren Renten mit, erklärte Kohl.
Die nun veröffentlichten Äußerungen hatte der damals frisch gewählte Bundeskanzler der britischen Regierungschefin Margaret Thatcherbei ihrem Besuch in Bonn anvertraut. "Kanzler Kohl sagte, [ ] Über die nächsten vier Jahre werde es notwendig sein, die Zahl der Türken um 50 Prozent zu reduzieren - aber er könne dies noch nicht öffentlich sagen", heißt es in dem Gesprächsprotokoll vom 28. Oktober 1982. Und weiter: "Es sei unmöglich für Deutschland, die Türken in ihrer gegenwärtigen Zahl zu assimilieren." Nur vier Menschen waren damals im Raum: Kohl, sein langjähriger Berater Horst Teltschik, Thatcher und ihr Privatsekretär A.J. Coles, der Verfasser des Dokuments.
Drei Jahrzehnte lang haben die Aufzeichnungen der Treffen zwischen den beiden Regierungschefs in den Jahren 1982 und 1983 unter Verschluss gelegen. Diese Woche war die Geheimhaltungsfrist abgelaufen, das britische Nationalarchiv machte die Dokumente öffentlich. SPIEGEL ONLINE konnte sie einsehen.
Türken bleiben gelassen
Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann kommentierte Kohls damalige Äußerungen am Freitag in Berlin mit den Worten: Erschreckend sei das Denken, das sich dahinter verberge. "Dieses Denken war geprägt dadurch, dass Einwanderer und Flüchtlinge nur als Belastung gesehen wurden." Mittlerweile werde Einwanderung jedoch wegen des Fachkräftemangels als große Chance gesehen.
Zuwanderer reagierten auf die Enthüllungen gelassen. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte der "Berliner Zeitung" laut einer Vorabmeldung: "Heute kann sich die politische Klasse so etwas nicht mehr leisten. Das ist ein Fortschritt." Der türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Memet Kilic (Grüne) erklärte: "Die Enthüllung von Helmut Kohls Gedanken mag neu sein, jedoch sind diese Gedanken seit Jahrzehnten die Linie der Unionsparteien."
Zuspruch für seine drei Jahrzehnte alten Äußerungen erhielt Kohl am Freitag von Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin. Er wertete sie als Beleg dafür, dass die Politik das Problem integrationsunwilliger Muslime auch heute noch weitgehend ignoriere. Kohl habe sich damals nicht in der Öffentlichkeit geäußert. Er werde sich dabei etwas gedacht haben, sagte Sarrazin "Handelsblatt Online". Denn: "Heute sind die Integrationsprobleme eines großen Teils der muslimischen Migranten in Europa zwar in aller Munde, werden aber von der Politik gerne weiter öffentlich geleugnet oder verniedlicht."
1982 lebten rund 1,5 Millionen Türken in Deutschland. Die Bundesrepublik hatte große Probleme: Nach der zweiten Ölkrise Anfang der achtziger Jahre schwächelte die Wirtschaft stark. 1,8 Millionen Menschen waren arbeitslos, sechsmal mehr als 1973.
ler/dpa/afp