Koalitionspoker in Thüringen Ramelow will SPD zu Rot-Rot-Grün verführen
Enger geht es kaum: In Thüringen haben CDU und SPD sowie Rot-Rot-Grün eine knappe Mehrheit. Linken-Spitzenmann Ramelow und CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht lassen sich als Sieger feiern. Wer freut sich zu früh?
Und dann auch noch das: "Ich liebe dich", sagt Bodo Ramelow zu seiner Frau, wirft ihr einen schmachtenden Blick zu und küsst sie. Einmal, zweimal. Ramelow und Gattin Germana Alberti vom Hofe stehen auf der Bühne der Linken-Wahlparty im Erfurter Palmengarten, eben wurde der Spitzenkandidat bereits frenetisch für seine knappe Siegesrede beklatscht, aber nach dieser Szene steigert sich der Jubel nochmals.
Ramelow, 58, schreckt nicht einmal mehr vor Liebeserklärungen auf offener Bühne zurück, die man sonst nur aus der US-Politik kennt. So was machen echte Profis wie Bill Clinton oder Barack Obama. Ramelow will demnächst Thüringer Ministerpräsident sein.
Ramelow fühlt sich als Sieger, und er ist wild entschlossen, den Job zu übernehmen: "Die Wähler haben uns den Auftrag erteilt, einen Politikwechsel einzuleiten", sagt er unter tosendem Beifall seiner Anhänger.
Aber kommt es wirklich dazu? Die politische Verhältnisse in Thüringen sind kompliziert: Rot-Rot-Grün hat im neuen Thüringer Landtag eine Mehrheit, genauso wie eine mögliche Koalition von CDU und SPD - allerdings beide denkbar knapp. So wird es vor allem an den Sozialdemokraten liegen, welches Bündnis künftig Thüringen regiert.
Dabei haben die ein Ergebnis eingefahren, für das den Genossen beinahe die Worte fehlen: Zwölfeinhalb Prozent, das ist nur wenig mehr als das Ergebnis der sächsischen SPD vor zwei Wochen - und auf die schwachbrüstigen Sozialdemokraten im Nachbarland hat man bisher immer herabgeschaut.
SPD stürzt historisch ab
Die SPD hat zur Wahlparty in einen Irish Pub in Sichtweite der Staatskanzlei eingeladen. An den Tischen wird diskutiert, was denn nun besser gewesen wäre: Vor der Wahl den Menschen zu sagen, welche Koalition man nach dem Urnengang anstrebe, oder eben hinterher. Man hätte vielleicht Wähler verschreckt, sagt ein junger Mann am Tisch. Carsten Schneider, der örtliche Bundestagsabgeordnete und Fraktionsvize in Berlin, spricht von einem "Desaster", von der "bittersten Niederlage in Thüringen". Er glaubt, es habe der SPD geschadet, sich vor der Wahl nicht festgelegt zu haben.
In Thüringen scheint sich jedenfalls zu zeigen, dass eine Große Koalition für die SPD als kleiner Partner nicht einzahlt. 1999, nach dem ersten Bündnis, stürzten die Genossen von 29,6 auf 18,5 Prozent - und jetzt ein noch viel tieferer Fall. Die Basis will dieses Bündnis nicht mehr, das zeigen viele aufgeregte Gespräche im Pub.
Dagegen erscheint eine Koalition mit den Linken für die Genossen längst nicht mehr als Schreckgespenst. Was hätten SPD und Grüne zu verlieren, falls man es gemeinsam mit der Linken versucht? Sollte die rot-rot-grüne Option für die Bundestagswahl 2017 ernst gemeint sein, wäre es aus Berliner Sicht fast zwingend, eine entsprechende Koalition im Freistaat zu versuchen. In Thüringen könnte der SPD in den kommenden Wochen eine harte Debatte bevorstehen, zwei sozialdemokratische Perspektiven stoßen aufeinander, die ungefähr so klingen: "Ich bin nicht '89 auf die Straße gegangen, um mit der Nachfolge-SED zu regieren" versus "Ich bin nicht '89 auf die Straße gegangen, um immer von derseben Partei regiert zu werden."
Grüne geben sich offen
Abgesehen davon, dass man ja auch noch die Grünen für ein linkes Bündnis bräuchte. Auch dort dürfte es heftige Diskussionen geben. Spitzenkandidatin Anja Siegesmund sagt am Wahlabend lediglich: "Wir werden uns keiner Einladung zu Gesprächen einer demokratischen Partei verschließen."
Eine Stimme Mehrheit hätte Rot-Rot-Grün - kann das gut gehen? Aber viel komfortabler könnten CDU und SPD auch nicht zusammen regieren. Und mancher erinnert daran, dass Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht im Oktober 2009 bei der Wahl zur Regierungschefin erst im dritten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte - trotz eines deutlich größeren Polsters.
Für Lieberknecht ist dennoch klar: Sie will weiter mit der SPD regieren, schon am Abend bietet sie für den Montag Sondierungsgespräche an. Was soll sie sonst auch tun? Lieberknecht sitzt mit Mike Mohring ein ehrgeiziger Fraktionschef im Nacken, sollte es nicht mehr klappen mit der Regierung, dürfte er die neue starke Figur der Thüringer CDU werden. Die "Thüringenpartei", wie sich die Christdemokraten einst in Anlehnung an die CSU nannten, hat sich zwar von dem Dieter-Althaus-Debakel einigermaßen erholt - aber von einer absoluten Mehrheit wie 1999 ist man weit entfernt.
Dabei geht es den Menschen in Thüringen nicht schlecht: Der Freistaat hat mit 7,5 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote im Osten, sogar die größte Dichte an Unternehmen bundesweit. Ein kleines Musterländle also - und dennoch scheinen die Thüringer nach 24 Jahren christdemokratischer Regentschaft ein bisschen CDU-müde zu sein.
Bodo Ramelow ist davon felsenfest überzeugt. Er will nach drei Anläufen endlich regieren. Aber jetzt hat es Ramelow wohl nicht mehr in der Hand.