Erste Rede des SPD-Kanzlerkandidaten Die große Schulz-Show
Die Genossen liegen ihm zu Füßen, auch bei vielen Wählern kommt Martin Schulz offenbar an. Doch seine erste Rede als Kanzlerkandidat enthielt viel bekannte SPD-Rhetorik - aber nur wenig neue Akzente.
Das haben sie im Willy-Brandt-Haus dann doch nicht hinbekommen: Ein Tisch mit allerlei sozialdemokratischem Tand ist an diesem Sonntag im zweiten Stock der SPD-Zentrale aufgebaut - aber Bonbons, Streichholzschachteln oder Kugelschreiber mit dem Konterfei von Martin Schulz sind noch nicht im Angebot. Dafür hat die Zeit dann doch nicht gereicht seit der Ausrufung des Kanzlerkandidaten am Dienstag. Einen Stock tiefer wartet allerdings schon ein Pappaufsteller für "Dein Foto mit Martin Schulz". Und einen stilisierten Schulz-Kopf als Logo seiner Kampagne gibt es auch schon.
"Sankt Martin" nennt ihn der SPIEGEL auf dem Titel seiner aktuellen Ausgabe, viele Genossen werden die Ironie möglicherweise nicht verstehen. Schulz soll die SPD aus dem Umfragekeller und im Herbst am besten direkt ins Kanzleramt führen. Nicht weniger als das.
Aber jetzt live rein in die Schulz-Festspiele, die allerdings mit ein bisschen Verzögerung beginnen, weil erst noch ein anderer sprechen muss: Noch-Parteichef Sigmar Gabriel, der angesichts der plötzlichen Euphorie in der SPD die letzten Zweifel über seine Entscheidung verloren haben dürfte, Schulz als Kanzlerkandidat den Vortritt zu überlassen und den Parteivorsitz gleich noch mit. Nach einer knappen Viertelstunde ist endlich Schulz dran.
"Es ist schön zu sehen, dass das Willy-Brandt-Haus so gut gefüllt ist und in so guter Stimmung den Wahlkampf beginnt", sagt er - und erntet damit nach seiner frenetischen Begrüßung gleich den nächsten Jubel. Das wird die kommende Stunde über so weiter gehen. Die vielen Hundert Zuhörer - Mitarbeiter, Mitglieder und Sympathisanten der SPD - sind offenbar ganz sicher, dass dieser Kanzlerkandidat wirklich der richtige ist.
Einer hat sogar ein das berühmte Barack-Obama-Plakat aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 nachgebastelt - nur dass darauf nun das Gesicht von Martin Schulz zu sehen ist.
Es läuft im Moment tatsächlich gut für den Mann aus dem rheinischen Würselen: Seit seiner Nominierung hat die SPD demoskopisch deutlich zugelegt, im direkten Vergleich liegt er nur knapp hinter Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, weit über 1000 Bürger sind in den vergangenen Tagen neu in die Partei eingetreten. Passenderweise erklärte der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Erzfeind Oskar Lafontaine am Sonntag in einem Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" die Bereitschaft seiner Partei, unter Schulz' Führung eine künftige Bundesregierung zu bilden. Fehlt eigentlich nur noch, dass Grünen-Oberrealo Winfried Kretschmann plötzlich zu einer rot-rot-grünen Koalition aufruft.
Schulz sagt im Willy-Brandt-Haus: "Ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden." Das gehört sich so als Kanzlerkandidat, seine Vorgänger Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier haben das auch getan - um dann jeweils krachend zu scheitern.
Mit Schulz soll alles besser werden
Doch diesmal soll ja alles anders werden, trotz des aktuell immer noch klaren Umfragen-Abstands zur Union, trotz der hohen Beliebtheit von Kanzlerin Merkel. Warum? Wegen Schulz.
Und der will nun zunächst ein paar inhaltliche Grundlinien aufzeigen. Erstmal aber lobt Schulz bei seinem Auftritt Gabriel und beteuert ihre Freundschaft. Und dann - folgt leider eine Art Vorsitzenden-Parteitagsrede. "Mehr Zeit für Gerechtigkeit" heißt ja bisher der Schulz-Slogan, weshalb es natürlich viel um das klassische SPD-Thema Gerechtigkeit geht. Und um moderne Familienpolitik, um besseren Umweltschutz, effektivere Sicherheitsbehörden. Der sozialdemokratische Baukasten. Zudem lobt er noch ungefähr jeden Landesvorsitzenden für seinen Einsatz - wie auf einem Parteitag.
Überzeugend wird Schulz da, wo es um die EU und allgemein um die Außenpolitik geht. Da ist er als ehemaliger Präsident des Europaparlaments in seinem Element. "Ich werde kein Europa-Bashing machen", sagt er. Denn in Brüssel und Straßburg würden Entscheidungen getroffen, von denen Deutschland enorm profitiere. Sollten sich manche EU-Staaten allerdings mit Blick auf die Flüchtlingspolitik weiterhin so unsolidarisch verhalten, werde das die von ihm geführte Bundesregierung in den EU-Haushaltsverhandlungen einbringen. Eine deutliche Warnung vor allem an Ungarn.
Klare Worte gegen Trump
Auch zum neuen US-Präsidenten Donald Trump findet Schulz klare Worte: Er spricht mit Blick auf dessen erste Woche im Amt von einem "Tabubruch, der unerträglich ist". Die USA müssten ein enger Partner Deutschlands bleiben, fordert er - und wünscht sich gleichzeitig mehr öffentlichen Widerspruch von europäischen Politikern gegenüber dem Mann im Weißen Haus. Das kann man auch als Spitze gegen die Kanzlerin verstehen, die nach einem Telefonat mit Trump am Vortag und einer anschließenden gemeinsamen Erklärung erst am Sonntag Kritik an dem Einreise-Bann gegen mehrere muslimische Staaten äußerte. Ansonsten hält sich Schulz mit Angriffen gegen die Kanzlerin zurück, ruft zu einem fairen Wahlkampf auf.
Noch überzeugender wirkt Schulz, wenn er persönlich wird und aus seinem anfangs sehr bewegten Leben erzählt: Dass es dieser Sozialdemokrat aus kleinsten Verhältnissen - ohne Abitur und Studium - so weit gebracht hat, könnte tatsächlich dabei helfen, Glaubwürdigkeit für die SPD zurückzugewinnen. "Ich schäme mich nicht für meine Herkunft", sagt Schulz.
Aber um die gute Stimmung in der SPD beizubehalten und der Kanzlerin ernsthaft Paroli zu bieten, braucht es noch ein bisschen mehr. In den kommenden Wochen wird Schulz viel durchs Land reisen, Interviews geben, seine Kampagne aufbauen. Und seine Leute werden an einem echten inhaltlichen Profil tüfteln.
"Jeder spürt, es geht ein Ruck durch die SPD", sagt Schulz am Ende seiner Rede. Das stimmt. Aber auch "ein Ruck durch das ganze Land", wie er behauptet?
Noch sind acht Monate Zeit.