US-Anklage gegen Ex-VW-Chef Winterkorn Grüne werfen Bundesregierung Komplizenschaft mit Autobossen vor
Die US-Justiz hat Ex-VW-Chef Winterkorn wegen manipulierter Abgaswerte bei Dieselautos angeklagt. Deutschlands Oppositionsparteien registrieren das mit Genugtuung - und erneuern Vorwürfe an die Bundesregierung.
Nach der Anklage des früheren VW-Chefs Martin Winterkorn in den USA hat die Opposition im Bundestag die Bundesregierung für ihr Vorgehen im Abgasskandal angegriffen.
"Der Blick in die USA entlarvt die Komplizenschaft der Bundesregierung mit den deutschen Autobossen. Mit ihrem Nichtstun provoziert die Bundesregierung geradezu den nächsten Betrug", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter dem SPIEGEL.
Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD müsse die Autoindustrie endlich zwingen, diesen Skandal umfassend aufzuräumen. "Es muss das Prinzip gelten: Wer den Schaden anrichtet, muss auch dafür gerade stehen. Die betrogenen Dieselfahrer dürfen am Ende nicht die Dummen sein", sagte Hofreiter.
Die Anklage gegen Winterkorn umfasst mehrere Punkte. Die Strafverfolger in Detroit werfen ihm Verschwörung zur Täuschung der Behörden bei der Abgasmanipulation sowie Verstöße gegen US-Umweltgesetze vor. Laut Anklageschrift war Winterkorn bereits im Mai 2014 mit einem internen Memo über den Einsatz einer Software zur Manipulation der Messwerte von Stickoxiden informiert worden. Winterkorn hatte stets abgestritten, vor Herbst 2015 davon gewusst zu haben. US-Justizminister Jeff Sessions begleitete die Anklage mit markigen Worten und versprach, wer die USA betrügen wolle, werde "einen hohen Preis zahlen".
"Möchtegern-Law-and-Order-Boys von der CSU"
Auch Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte einen nachlässigen Umgang Deutschlands mit dem Abgasskandal: "Die Möchtegern-Law-and-Order-Boys von der CSU im zuständigen Verkehrsministerium" ließen die Autobosse "mit ein paar Software-Updates davonkommen", sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses. Dies schade der deutschen Industrie. Er forderte wirksame Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller und eine Einführung von Gruppenklagen.
Der verkehrspolitische Sprecher der FDP -Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, sagte dem SPIEGEL: "Ohne Ethik, Haftung und Eigenverantwortung funktioniert die soziale Marktwirtschaft nicht. Daher stellt sich die Frage, wieso die USA im Gegensatz zu Deutschland Manipulationen konsequenter aufarbeiten."
Winterkorn und andere verantwortliche VW-Manager sollten sich "einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren stellen", forderte der liberale Politiker. "Nicht nur VW, auch der Staat hat versagt als Anteilseigner von VW in Niedersachsen, vor allem die SPD geführte Landesregierung und die Gewerkschaften."
Linken-Politiker Klaus Ernst nannte die Anklage "überfällig". Es seien nicht einzelne Ingenieure gewesen, die "den massenhaften Betrug in einem Weltkonzern auf die Beine gestellt haben". Es sei unvorstellbar, dass die Führungsspitze des Konzerns nichts von diesen "Machenschaften" gewusst habe. Die US-Anklage sei ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz und Politik.
Unmittelbare Auswirkungen hat die Anklage für Winterkorn vorerst aber nur begrenzt. Der Ex-Manager ist derzeit nicht in den USA und Deutschland liefert seine Staatsbürger nicht aus. In Deutschland ermittelt allerdings die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen ihn - wegen des Verdachts auf Betrug und Marktmanipulation.
Die Vorgänge in den USA nahm die hiesige Anklagebehörde dementsprechend auch bloß "interessiert zur Kenntnis". "Nur weil die Amerikaner Herrn Winterkorn anklagen, ändert das nicht unser Ermittlungskonzept", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen in dem Abgasskandal würden unverändert vorangetrieben. Er rechne nicht mit einem Abschluss der Betrugsermittlungen in diesem Jahr.
Winterkorns Verteidiger Felix Dörr zeigte sich überrascht vom Vorgehen der amerikanischen Justiz. Dem "Handelsblatt" sagte er: "Wir sind über die Anklage erstaunt. Die Anklageschrift nehmen wir zur Kenntnis. Das weitere Vorgehen werden wir klären." Dörr arbeitet mit dem US-Verteidiger Steven Molo zusammen, der Winterkorn in den USA vertritt.
VW hatte wegen des Skandals in den USA bereits Milliarden Dollar an Straf- und Vergleichszahlungen leisten müssen. Die US-Justizbehörden hatten in der Vergangenheit bereits Strafanzeigen gegen acht amtierende und frühere Mitarbeiter des VW-Konzerns gestellt. Zwei von ihnen wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldbußen verurteilt.
apr/Reuters/dpa/AFP