Verhältnis zur SPD Grünen-Politiker Palmer greift Parteichefin Roth an
In NRW reichte es für Rot-Grün zur Mehrheit - aber klappt das auch bei der Bundestagswahl? Bei den Grünen sorgt diese Frage für heftige Differenzen: Realo-Kopf Palmer greift Parteichefin Roth an, weil sie die Grünen im Bündnis mit der SPD einmauern würde. Der Ko-Vorsitzende Cem Özdemir springt ihr bei.
Berlin - Bei den Grünen gibt es nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen Streit ums Verhältnis zur SPD: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer greift Parteichefin Claudia Roth wegen ihrer Festlegung auf Rot-Grün an. Palmer sagte SPIEGEL ONLINE: "Ich würde mir etwas mehr Zurückhaltung und Demut bei der Interpretation des Landtagswahl-Ergebnisses in Nordrhein-Westfalen wünschen."
Roth und andere Vertreter der Parteilinken hatten nach dem Erreichen der gemeinsamen Mehrheit in NRW ihre Partei auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 auf Rot-Grün eingeschworen.
Palmer, führender Vertreter des Realo-Flügels und Mitglied des Führungsgremiums Parteirat, hält das für falsch. "So eine einseitige Festlegung auf Rot-Grün ist unklug", sagte er. "Man sollte anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl keine Kaffeesatzleserei betreiben und sich rot-grün einmauern."
Schon am Wahlabend übte Palmer intern Kritik
Schon am Wahlabend hatte Palmer in einer Telefonkonferenz Kritik an der Festlegung auf Rot-Grün als Konsequenz aus dem NRW-Ergebnis geübt. Dabei war er von anderen Vertretern des Realo-Flügels unterstützt worden. Parteichefin Roth hatte auf Palmers Intervention dem Vernehmen nach sehr harsch reagiert. An der Sitzung des Parteirats am Montagmorgen nahm der Tübinger OB nicht teil, hier soll es keine weiteren Einwände gegen den klaren Rot-Grün-Kurs gegeben haben.
Palmer hält es deshalb für angemessen, seine Skepsis nun öffentlich zu machen. "Natürlich bedeutet das NRW-Ergebnis Rückenwind für Rot-Grün - aber es ist Vorsicht geboten: In einem Sechs-Parteien-Parlament wird eine gemeinsame Mehrheit sehr schwer." In Düsseldorf hatte die die Linkspartei den Einzug ins Landesparlament verpasst, für 2013 rechnen Experten mit sechs Parteien im Bundestag.
"Man sollte nicht versuchen, ein erfreuliches Ergebnis so überzuinterpretieren, dass der Wunsch die Realität verformt", so der Grünen-Politiker. Palmer sagte weiter: "So etwas merken die Leute. Es ist ein Teil des Erfolgs der Piraten, dass man Politikern nicht mehr glaubt, was sie sagen, weil sie ihre Wünsche als Realität ausgeben."
Parteichef Özdemir rüffelt Palmer
Für manchen überraschend bekommt Palmer dafür deutlichen Gegenwind von Parteichef Cem Özdemir. Die beiden Realo-Politiker gelten als enge Vertraute. Özdemir sagte SPIEGEL ONLINE: "Ich habe kein Verständnis für diese vom Zaun gebrochene Debatte." Die Grünen seien "eine eigenständige Partei und wir, da spreche ich auch für meine Co-Vorsitzende Claudia Roth, wollen diese Selbstverständlichkeit nicht wiederholen müssen."
"Wir haben die größte inhaltliche Überschneidung mit der SPD und das Ergebnis in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass es entgegen mancher voreiliger Annahmen sehr wohl möglich ist, dass Rot und Grün eine gemeinsame Mehrheit erreichen können", sagte Özdemir. "Die Bundestagswahl ist offen und wir werden hoch motiviert für einen Politikwechsel kämpfen."
Heftige Kritik an Palmer kam von Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion. Beck gehört wie Parteichefin Roth zum linken Flügel der Grünen. Er sagte SPIEGEL ONLINE: "Unser Wahlziel 2013 ist die vollständige Ablösung der schwarz-gelben Regierung." Diese Entscheidung fälle bei den Grünen "die Partei und kein schwäbischer Kommunalpolitiker."
In der vergangenen Woche hatte Grünen-Mann Palmer sich offen für mögliche Ampel-Koalitionen in der Zukunft gezeigt. Damals sagte er: "Wir wollen Rot-Grün, aber wenn es am Ende nicht dafür reicht, sollte eine Ampel kein Problem für uns sein - wenn wir zuvor keine Ausschließeritis betrieben haben." Auch bei anderen Vertretern des Realo-Flügels gibt es Sympathien für Ampel-Überlegungen.