Neue Abgeordnete Exoten im Parlament
Eine grüne Pianistin, ein liberaler Weinprofessor, ein schwarzer Kapitän: Wer glaubt, im Parlament säßen nur Beamte, der irrt. 203 Neulinge sind in den Bundestag eingezogen - und mit ihnen die unterschiedlichsten Berufe und Biografien. SPIEGEL ONLINE stellt fünf Newcomer vor.
Viele Wege führen in den Bundestag, aber an Parteiarbeit und Wahlkampf kommt kein Abgeordneter in der Demokratie vorbei. Die Konzertpianistin Agnes Krumwiede zum Beispiel gab in den Dörfern Oberbayerns Konzerte, in Gemeinderäumen oder in renovierten Scheunen, während draußen Kühe und Schafe weideten. Für einige ihrer Zuhörer war es das erste klassische Konzert überhaupt. Anschließend wurde über grüne Politik diskutiert - denn für Krumwiede gehören Politik und Musik zusammen.
Mit ihren 32 Jahren gehört sie zu den Jüngeren im Bundestag, denn das Einstiegsalter liegt im Schnitt bei Anfang 40. Vom Beginn des politischen Engagements bis zum Einstieg in den Bundestag vergeht meist viel Zeit. Alle Abgeordneten müssen ein mehrstufiges Nominierungsverfahren in ihren Parteien durchlaufen. So können sich nur Personen engagieren, die sich ihre Zeit weitgehend flexibel einteilen können. Zudem haben es politiknahe Berufsgruppen leichter.
Das erklärt einerseits die überproportionale Vertretung von Lehrern und Beamten und andererseits den hohen Anteil an Parteifunktionären und Angestellten von Interessenverbänden. Zusammengenommen machen diese Berufsgruppen knapp die Hälfte aller Abgeordneten aus.
Politische Elite - kein Abbild der Gesellschaft
Auch im neu gewählten Bundestag ist das der Fall. Dort sitzen laut Statistik des Bundeswahlleiters
- 350 Abgeordnete, die unmittelbar vor der Wahl Mandatsträger oder Beamte in höheren Positionen waren
- 57 Rechtsanwälte und Juristen
- 57 Geistes- und Naturwissenschaftler
- 22 Unternehmensleiter, -berater und -prüfer
- 21 Ingenieure
- 16 Lehrer
Zudem sind zahlreiche weitere Berufsgruppen mit weniger als zehn Vertretern aufgezählt. Die Angaben beziehen sich auf die Berufe, die die neuen Abgeordneten unmittelbar vor ihrem Mandat ausgeübt haben, nicht auf ihre Ausbildungsberufe.
So sieht die Mischung schon seit den sechziger Jahren aus: "Die Zusammensetzung hat sich kaum verändert", sagt Michael Edinger, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zum Thema politische Eliten forscht. "Damals waren ganze Gesellschaftsgruppen, wie zum Beispiel Arbeiter, von der parlamentarischen Repräsentation weitgehend ausgeschlossen."
"Eliten unterscheiden sich in der Regel von der Breite der Bevölkerung, das kann man mehr oder weniger gut finden", sagt Edinger. Vorrang habe aber, dass wichtige gesellschaftliche Interessen zum Ausdruck kommen, nicht, dass die Sozialstruktur der Abgeordneten die Gesellschaft widerspiegle.
Trotz dieser erkennbaren Muster ist die Vielfalt an beruflichen Erfahrungen groß. "Die Rede vom Beamtenparlament unterstellt eine Homogenität, die nie bestanden hat", sagt Edinger. Bei insgesamt 622 Abgeordneten gibt es auch in der 17. Wahlperiode Mandatsträger mit außergewöhnlichen Berufen.
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Mit Material von AP.