Die Lage am Dienstag Liebe Leserin, lieber Leser,
vom großen Gerhard Polt stammt der Satz: "Wir brauchen keine Opposition, weil wir sind schon Demokraten." Einst gemünzt auf die CSU, passt er ganz prima auf das Kabinett der Großen Koalition. Heute lädt Angela Merkel ihre Regierung zur Klausur auf Schloss Meseberg, aber wahrscheinlich hat die Kanzlerin eher das Gefühl, ihr stehe ein Rendezvous mit dem Feind bevor.
Da ist auf der einen Seite Horst Seehofer, der als erste Amtshandlung eine Islamdebatte lostrat, die Merkel so missfiel, dass sie ihren Innenminister in einer Regierungserklärung zurechtwies. Und dann gibt es noch den Gesundheitsminister Jens Spahn, der im neuen Amt erst einmal festgestellt hat, wie grandios erfolglos die CDU-Innenminister der vergangenen zwölf Jahre waren. Spahnhofer, wie die beiden inzwischen in der Union genannt werden, sind so laut, dass offenbar selbst die notorisch schrille AfD nicht mehr durchdringen soll.
Die Grüne K-Frage
Kann ein Grüner Kanzler werden? Die Frage mag auf den ersten Blick verwegen klingen. Aber wer hätte vor 15 Jahren geglaubt, dass eines Tages ausgerechnet Baden-Württemberg, das Land von Daimler und Porsche, von einem Grünen regiert wird?
Gegründet als Partei gegen das Establishment, haben sich die Grünen im Laufe der Jahre als erstaunlich flexibel erwiesen. Die einstigen Pazifisten trugen die ersten Auslandseinsätze deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg mit, sie verabschiedeten zusammen mit Kanzler Gerhard Schröder eine Wirtschaftsreform, von der die FDP-Politikerin Katja Suding heute sagt: "Die Agenda 2010, das muss ich als Freidemokratin neidlos anerkennen, hat Deutschland wirklich nach vorne gebracht."
Nun machen sich die Grünen daran, aus den Trümmern der SPD das Fundament ihrer künftigen Macht zu bauen. Die beiden Realo-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen in dieser Woche die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm beginnen. Die Details sind noch vage, aber das Ziel ist klar: Die Partei zieht in die Mitte - da, wo einst Helmut Schmidt und Gerhard Schröder Wahlen gewonnen haben.
Facebook im Kreuzverhör
Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist heute vor den US-Kongress geladen, es geht um den Datenskandal der Firma Cambridge Analytica - vor allem aber um die Frage, wie Facebook, das doch eigentlich die Welt zu einem besseren Ort machen sollte, zu einer medialen Dreckschleuder wurde, die das Netz mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien flutet. Noch ist nicht endgültig geklärt, welchen Anteil die "sozialen Netzwerke" am Wahlsieg Donald Trumps hatten. Aber sicher ist, dass all jene politischen Kräfte, die ein laxes Verhältnis zur Wahrheit haben, mit Facebook ein ideales Medium fanden.
Verlierer des Tages...
... sind heute alle, die auf einen Flug der Lufthansa angewiesen sind. Weil die Gewerkschaft Ver.di zu Warnstreiks aufruft, werden wohl 800 Flüge entfallen, insgesamt 90.000 Reisende sind betroffen, und sie werden nach Lage der Dinge nicht einmal eine Entschädigung erhalten. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Streik des Bodenpersonals nicht etwa Menschenwerk, sondern höhere Gewalt. Wenn Sie also heute auf dem Flughafen festsitzen, dann trösten Sie sich doch einfach mit dem Gedanken, Ver.di-Chef Bsirske sei nichts anderes als eine böse Gewitterfront.
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Einen schönen Tag wünscht,
René Pfister