
Die Lage am Dienstag Liebe Leserin, lieber Leser,
zu den bemerkenswerteren Figuren der Berliner Jamaika-Sondierungen gehört Alexander Dobrindt, der Chef der CSU-Landesgruppe. Immer wenn Horst Seehofer sich besonders erfreut über den Stand der Gespräche äußert, lässt sich Dobrindt mit irgendeiner Flegelei gegen die Grünen zitieren. Man kann das als das übliches Rollenspiel abtun, wenn Dobrindt nicht schon vor Jahren als CSU-Generalsekretär seine eigene Theorie für den Umgang mit den Grünen entwickelt hätte. Die sind in seinen Augen eben keine linke Partei mehr, sondern eine echte bürgerliche Alternative, was sich an deren Wahlergebnissen rund um den Starnberger See ablesen lässt.
Dobrindt hat daraus - im Gegensatz zur Kanzlerin - nicht den Schluss gezogen, dass die Grünen der natürliche Koalitionspartner der Union sind. Sondern im Gegenteil: Je bürgerlicher die Grünen erscheinen, umso hysterischer muss die CSU sie als linke Wirrköpfe darstellen. Sollte Jamaika scheitern, dann wird die Dobrindt-Doktrin daran einen entscheidenden Anteil haben.
Die Sparkasse, der deutsche Vatikan
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich derzeit Mitleid mit jemandem verspüre, dann ist es Georg Fahrenschon. Der arme Tropf hat es versäumt, seine Steuererklärungen rechtzeitig abzugeben, weshalb ihm ein Strafbefehl ins Haus geflattert ist. Die Sache wäre nicht weiter der Rede wert, wäre Fahrenschon nicht Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, und der gilt bei uns offenbar als moralische Instanz, die nur knapp unter dem Papst rangiert.
Seit Tagen sind die Zeitungen voll mit empörten Artikeln, ganz so, als hätte Fahrenschon das Sparschwein einer Sechsjährigen eigenhändig zertrümmert und sich anschließend hämisch lachend die Münzen in die Tasche gesteckt. Heute nun treffen sich die regionalen Sparkassen-Präsidenten in Hannover, um die Affäre zu beraten - ohne Fahrenschon. Es sieht so aus, als hätte der bald sehr viel Zeit, seine Finanzen zu ordnen.
Die bleiernen Jahre der SPD
Warum geht es der SPD so miserabel? Die Krise der Partei hat viele Gründe, aber einer ist sicher auch, dass Sigmar Gabriel sich acht Jahre lang an das Amt des SPD-Chefs klammerte, ohne dass er je den Mut fand, gegen die Kanzlerin anzutreten. Es waren verlorene Jahre für die SPD, weil es in der ganzen Zeit nicht gelang, eine echte Alternative zu Merkel aufzubauen.
Die Fehler der Vergangenheit kann man nicht rückgängig machen, aber man sollte aus ihnen lernen. Alles spricht im Moment dafür, dass Martin Schulz auf dem Parteitag im Dezember als SPD-Chef bestätigt wird, trotz des Debakels bei der Bundestagswahl. Schulz will es noch einmal wissen, weil er die Schmach der Niederlage tilgen will. Das ist menschlich verständlich. Aber die SPD sollte ihm nur dann eine zweite Chance geben, wenn sie wirklich glaubt, dass Schulz der nächste SPD-Kanzler sein kann. Ansonsten ist jetzt der Moment, sich nach einer Alternative umzusehen. Zeit haben die Sozialdemokraten schon genug verschenkt.
Verlierer des Tages...
... ist das Auswärtige Amt. Über Jahrzehnte verschaffte es seinem Chef Glanz und wenn es gut lief, war es umgekehrt genauso: Willy Brandt war Außenminister, bevor er zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler aufstieg; für Hans-Dietrich Genscher war es nie eine Frage, dass der Chefdiplomat der wichtigste Mann hinter dem Kanzler ist. Erst mit Guido Westerwelle kam die Sache ins Rutschen: Der FDP-Chef hoffte, sich im Auswärtigen Amt ein neues, staatsmännisches Image zulegen zu können. Das ging gründlich schief - am Ende flogen die Liberalen aus dem Bundestag, und Westerwelle war seinen Job los.
Nun wird in den Sondierungsgesprächen das Auswärtige Amt herumgereicht wie ein Humpen schalen Biers. Die FDP will lieber das Finanzressort, die Grünen wiederum finden, sie seien mit dem Sozialministerium besser bedient - denn da gibt es wenigstens Geld zu verteilen.
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Dienstag,
Ihr René Pfister