
Die Lage am Mittwoch Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn Sie das Wort "KoKo" bisher noch nicht gehört haben: Es ist das politische Pendant zur offenen Beziehung. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat die Idee der "Kooperationskoalition" vorgetragen, weil er den Gedanken, sich mit allen Treueversprechen an die Kanzlerin zu binden, offenbar zu beängstigend findet. In der KoKo würden einige Kernthemen festgelegt, bei denen Union und SPD gemeinsam abstimmen. Bei allen anderen dürfte sich die SPD (und die Union) wechselnde Partner suchen.
Nennen Sie mich einen Spießer, aber ich würde mich auf ein solches Abenteuer eher nicht einlassen. Heute treffen sich die Spitzen von Union und SPD zum ersten Mal ohne Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich in den vergangenen Wochen um die Anbahnung der komplizierten politischen Ehe bemüht hatte.
Bedrohung von rechts
Die Regierungsbildung gestaltet sich auch deshalb so schwierig, weil die AfD bei der Bundestagswahl sowohl der Union als auch der SPD Stimmen abgeknöpft hat und jetzt mit 92 Abgeordneten im Bundestag sitzt. Wie man mit der Herausforderung von rechts umgehen sollte, ob die AfD eine Bedrohung für die Demokratie bedeutet - diese Fragen diskutieren der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert zusammen mit SPIEGEL-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer ab 19.30 Uhr im Hamburger Thalia Theater. Karten bekommen Sie an der Abendkasse oder unter www.thalia-theater.de.
Eine Frage des Respekts
Fast genau ein Jahr ist es nun her, dass Anis Amri einen gestohlenen Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz steuerte und dabei zwölf Menschen tötete und fast hundert verletzte. Meine Kollegen Britta Stuff und Wolf Wiedmann-Schmidt haben vor zwei Wochen im SPIEGEL aufgeschrieben, wie nachlässig der Staat mit den Opfern und Hinterbliebenen des Anschlages umging. Der Text, den die beiden zusammen mit einem Brief der Angehörigen an Kanzlerin Angela Merkel veröffentlichten, löste eine heftige politische Debatte aus.
Heute nun wird Kurt Beck seinen Bericht als Beauftragter für die Breitscheidplatz-Opfer vorlegen. Er denkt an eine zentrale Anlaufstelle, damit sich Betroffene künftig nach Terrorattacken nicht von einer Behörde zur anderen hangeln müssen. Außerdem will Beck die Entschädigungen für Verletzte und Hinterbliebene deutlich erhöhen. Bisher bekommen Ehepartner, Kinder und Eltern von Terroropfern eine pauschale "Härteleistung" von 10.000 Euro. Aber den Angehörigen geht es nicht allein um Geld, das haben sie in ihrem Brief mehr als deutlich gemacht. Sie verlangen auch Respekt.
Verlierer des Tages...
... ist die FDP. Drei Wochen ist es nun her, dass die Partei die Jamaika-Sondierungen mit einem großen Knall platzen ließ. FDP-Chef Christian Lindner war der Mann der Stunde. Aber nun hat der Alltag der Opposition die FDP eingeholt, und der ist trister, als es sich mancher vorgestellt hat. Lindners scharfen Anti-Merkel-Kurs finden vor allem Anhänger der AfD sympathisch, im Bundestag wiederum muss sich die Partei gegen den Vorwurf wehren, sie liege gedanklich auf einer Wellenlänge mit den Rechtspopulisten. Mit der Absage an Jamaika hat Lindner eine politische Bewegung ausgelöst, die er nur schwer kontrollieren kann und bisher vor allem eine Richtung kennt: nach rechts.
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Mittwoch,
Ihr René Pfister