
Die Lage am Mittwoch Liebe Leserin, lieber Leser,
wenige Tage vor der Wahl eines neuen CDU-Vorsitzenden/einer neuen Vorsitzenden am Freitag wird die Spaltung der Union immer sichtbarer: Die graue Eminenz, Wolfgang Schäuble, spricht sich im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Friedrich Merz aus. Er stellt sich damit gegen Kanzlerin Angela Merkel, denn deren Favoritin ist bekanntlich Annegret Kramp-Karrenbauer. Schäubles Manöver zeigt: Bei dieser Wahl versucht die CDU der alten Bundesrepublik noch einmal ein Comeback. Es ist die CDU der Kohl-Jahre, in der Männer à la Schäuble und Merz im zackigen Kommandoton die Ansagen machten und Frauen meist den Kaffee kochten.
Vom autoritären Habitus, mit dem ein Alexander Gauland die AfD-Anhänger beeindruckt, sind Schäuble und Merz nur eine Tweed-Jackenarmlänge entfernt - und das soll auch so sein. Auf diese Weise wollen sie die entschwundenen Wähler am rechten Rand der Union zurückholen. Das klingt erst mal logisch und kann funktionieren, muss es aber nicht. Die frühere Bundesrepublik gibt es so nicht mehr. Warum sollten dann die alten Annahmen noch stimmen?
Was weiß Michael Flynn?
Amerika rätselt über Michael Flynn: Laut einem neuen Gerichtsdokument, das Russlandermittler Robert Mueller veröffentlicht hat, soll der frühere Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump umfassend mit den Ermittlern zusammengearbeitet haben. Er habe "substanzielle Hilfe" geleistet. Insgesamt hat er im vergangenen Jahr 19 Interviews mit den Fahndern geführt. Mueller empfiehlt deshalb, dass Flynn im Zusammenhang mit der Russlandaffäre nicht zu einer Haftstrafe verurteilt werden sollte.
Nun herrscht helle Aufregung: Was hat Flynn ausgeplaudert? Was weiß er über mögliche Kontakte zwischen Donald Trump und Russland? Oder welche Hinweise gab er womöglich zu anderen Verbrechen? Flynn war im Wahlkampf einer der engsten Berater Trumps, er hielt unter anderem Kontakt zum russischen Botschafter, kennt Wladimir Putin persönlich. Mueller lässt sich wie immer nicht in die Karten schauen: Große Teile des neuen Gerichtsdokuments sind für die Öffentlichkeit geschwärzt worden. Zumindest das ist eine klare Ansage: Diese Ermittlungen gehen weiter.
Krisenangst an der Wall Street
War es das mit dem Aufschwung in den USA? An den amerikanischen Aktienmärkten geht die Angst vor einem Ende der guten Konjunktur um. In New York kam es zu einem regelrechten Ausverkauf, der Dow Jones sackte zwischenzeitlich um 800 Punkte ab. Befeuert wird die Krisenangst unter anderem von der unklaren Chinapolitik der US-Regierung. Nachdem US-Präsident Donald Trump beim G20-Gipfel in Buenos Aires zunächst eine Art Waffenstillstand im Handelsstreit mit China verkündet hatte, droht er nun erneut mit Strafzöllen. Es scheint immer noch nicht ganz klar zu sein, worauf sich beide Seiten in Buenos Aires eigentlich geeinigt haben. Das lässt für den Fortgang der Gespräche wenig Gutes erahnen.
Das Treffen zwischen Trump und den deutschen Autobauern in Washington verlief derweil wohl weitgehend friedlich: Die Manager von VW, BMW und Daimler sprachen mit Trump über die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den USA, er versicherte im Gegenzug, zunächst keine Strafzölle auf Autos aus Deutschland zu verhängen. Das klingt beruhigend, aber auch hier gilt, wie immer bei Trump: Morgen kann die Welt schon wieder anders aussehen.
"Rauchende Kettensäge"
Es läuft aber auch wirklich gar nicht gut für Donald Trump: Nun nehmen führende Senatoren auch noch seine Saudi-Arabien-Politik auseinander. Trump hat sich im Fall des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi bislang stets schützend vor den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gestellt. Doch nach einer Anhörung von CIA-Chefin Gina Haspel im Kongress wird diese Linie mehr denn je in Frage gestellt. Selbst Trump-Freunde wie der Republikaner Lindsey Graham sind davon überzeugt, dass Mohammed bin Salman mit den Mördern in Istanbul unter einer Decke steckte: "Es gibt keine rauchende Pistole, sondern eine rauchende Kettensäge", sagte er. Und sein Parteifreund Bob Corker erklärte: "Wenn bin Salman vor Gericht stünde, würde er nach 30 Minuten verurteilt." Besonders schlecht für Trump: Die Senatoren könnten seine sanfte Politik gegenüber dem Kronprinzen nun komplett durchkreuzen - und schon sehr bald härtere Sanktionen gegen den Thronfolger und Saudi-Arabien einfordern.
Trauerfeier für George H.W. Bush mit Kanzlerin
Die amerikanische Hauptstadt Washington kommt heute zum Stillstand: Behörden bleiben geschlossen, die großen Straßen werden abgesperrt. Der Grund ist die Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten George H.W. Bush in der National Cathedral, für die Staatsgäste aus der ganzen Welt anreisen. Deutschland wird von Kanzlerin Angela Merkel vertreten. Die Trauerreden wollen unter anderem George W. Bush, der Sohn, und Jon Meacham halten. Der Historiker und Journalist hat vor einigen Jahren eine herausragende Biografie über den 41. Präsidenten geschrieben. Darin wird auch Bushs' Lebensmotto verraten. Es klingt wie ein Ratschlag an Donald Trump: "Tell the truth. Don't blame people. Be strong. Do your best. Try hard. Forgive. Stay the course."
Jetzt im Handel: Die neue Chronik 2018
Das Jahr 2018 ist ein Jahr des Umbruchs: Die Ära Merkel geht zu Ende, die Grünen sind auf dem Weg zur Volkspartei, die Briten wollen die EU verlassen, und Donald Trump stellt die Weltordnung auf den Kopf. Was hat das alles zu bedeuten? Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen für unser Leben? In neuen Heft CHRONIK 2018 blicken Autoren und Autorinnen aus der SPIEGEL-Redaktion auf die wichtigsten Ereignisse des Jahres zurück und analysieren die Folgen. Die CHRONIK 2018 ist von heute an im Handel erhältlich, den Abonnenten wird sie zugestellt.
Verlierer des Tages...
... ist Michael Avenatti. Der Anwalt aus Kalifornien war in den vergangenen Monaten in den USA in aller Munde, als Verteidiger der Pornodarstellerin Stormy Daniels legte er sich mit US-Präsident Donald Trump an. Zwischenzeitlich wurde er sogar als möglicher Präsidentschaftskandidat der Demokraten im Jahr 2020 gehandelt. In den vergangenen Wochen erlitt Avenatti jedoch einige Rückschläge. Unter anderem wurde er wegen des Verdachts der häuslichen Gewalt festgenommen. Fast zeitgleich kündigte Stormy Daniels die Zusammenarbeit mit ihm auf. Sie beschuldigte Avenatti, eine Verleumdungsklage gegen Trump angestrengt zu haben, ohne sie vorher einzubeziehen. Nun hat der Anwalt bekannt gegeben, dass er auf eine Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur verzichtet - "aus Rücksicht auf die Familie".
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Roland Nelles