Opposition Rot-grüne Möchtegern-Regierung
SPD und Grüne fühlen sich bärenstark - angesichts des schwarz-gelben Chaos träumt mancher vom baldigen Regieren. Nur: Eine rechnerische Mehrheit ergibt noch lange keine stabile Koalition. Der Machtwechsel käme für beide zu früh.
Berlin - Sigmar Gabriel langt gerne mal ordentlich hin. Je schlechter es dem politischen Gegner geht, desto giftiger werden seine Pfeile. Diese Regel schien eigentlich in den Genen des SPD-Chefs angelegt zu sein. Bis jetzt.
Ausgerechnet in diesen für die Bundesregierung besonders unangenehmen Tagen müht sich Gabriel um einen für seine Verhältnisse fast freundlichen Tonfall. Der Außenminister wankt, die Kanzlerin wird von ihren eigenen Leuten angegriffen - doch statt Rücktritte zu fordern oder über Neuwahlen zu spekulieren, ist von Gabriel die Ansage zu hören, dass Angela Merkel sich bei der Abstimmung zum umstrittenen Euro-Rettungsschirm auf die SPD verlassen könne.
Die Milde des SPD-Vorsitzenden ist Strategie - und symptomatisch für das derzeitige Verhalten der rot- grünen Spitzen. Statt sich in den üblichen politischen Streit zu stürzen, sonnen sie sich in ihren Umfragewerten und verfolgen das schwarz-gelbe Spektakel eher still. Tunlichst soll der Eindruck vermieden werden, man schlachte die Misere der anderen für eigene Zwecke aus. Denn, so das rot-grüne Kalkül: Wenn die Regierung sich weiter selbst zerlegt, kommt die Macht von allein. Erst in den Ländern. Und irgendwann auch im Bund.
Doch ganz so einfach wird die Sache nicht. Rechnerisch mögen SPD und Grüne auf dem Weg zur Regierungsübernahme sein. Doch das garantiert noch lange keine stabile Koalition. Tatsächlich überdecken die guten Umfragen gleich reihenweise Probleme in beiden Parteien, die dummerweise umso größer werden dürften, je näher ein Machtwechsel rückt.
Ungeklärte Führungsfrage
Zunächst ist da die ungeklärte Führungsfrage. Sie gilt in beiden Parteien als virulent. Sigmar Gabriel ist als SPD-Chef zwar relativ unangefochten - aber damit noch lange nicht Favorit für die Kanzlerkandidatur seiner Partei. Für diesen Posten hat im Moment der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die besten Chancen, auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gilt vielen in der SPD als möglicher Kandidat. Damit könnte Gabriel das Schicksal drohen, sich als Parteichef einem Kanzler unterordnen zu müssen - was in der SPD schon schiefgegangen ist, etwa bei dem Duo Schmidt-Brandt oder bei Schröder-Lafontaine.
Bei den Grünen ist es kaum einfacher. Wenn ihre Umfragewerte weiter fallen, werden sie zwar um die Frage eines eigenen Kanzlerkandidaten wohl herumkommen. Doch einen Spitzenkandidaten oder ein Spitzenduo werden sie in jedem Fall nominieren müssen. Nur wer könnte das sein? Der Parteivorsitzende Cem Özdemir, ein Realo, würde gerne, aber ihm werden wenig Chancen eingeräumt - zumal als Solo-Vorkämpfer. Dann schon eher Fraktionschef Jürgen Trittin, der eigentliche starke Mann bei den Grünen. Aber Trittin gehört zur Parteilinken - deshalb würde er wohl nicht alleine antreten können. Also mit wem? Renate Künast, die ihm schon im Bundestagswahlkampf 2009 zur Seite stand, will ja demnächst Regierende Bürgermeisterin in Berlin sein.
Agenda 2010 birgt immer noch Konfliktpotential
Ähnlich ungeklärt ist die Richtungsfrage - sowohl bei den Sozialdemokraten als auch den Grünen. Mit welchem Programm man in den Wahlkampf ziehen würde, ist bisher allenfalls in Umrissen erkennbar. Innerhalb der SPD birgt die Agenda-2010-Vergangenheit noch immer großes Konfliktpotential: Seit der Hamburger Wahl im Februar, als Spitzenkandidat Olaf Scholz mit seinem wirtschaftsfreundlichen Kurs die absolute Mehrheit holte, fühlen sich zwar die Pragmatiker gestärkt. Der linke Parteiflügel dürfte jedoch versuchen, über das SPD-Steuerkonzept, das in diesen Wochen vorgestellt werden soll, einen Kontrapunkt zu setzen.
Die Grünen legten erst vor wenigen Tagen eine Art steuerpolitisches Grundsatz-Konzept vor, das die Fraktionschefs aus Bund und Ländern erarbeitet haben. Auch da gibt es allerdings noch einige Punkte, bei denen man sich bisher nicht festlegen will: Soll es beispielsweise künftig einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent geben, wie es die Parteilinke um Spitzenmann Trittin will? Oder doch nur 44 Prozent, was der Berliner Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann im Namen der Realos favorisiert?
Koch und Kellner - das war gestern
Und dann ist da noch die Koch-und-Kellner-Frage: Nach Lage der Dinge würde die SPD in einem rot-grünen Revival den Seniorpartner geben - allerdings mit einem deutlich selbstbewussteren Junior. Die 20-Prozent-Grünen werden sich nicht mehr so behandeln lassen, wie es Kanzler Gerhard Schröder mit Joschka Fischer und dem Rest der Grünen tat. Einer wie Peer Steinbrück, der einst in Nordhein-Westfalen eine klassische rot-grüne Koalition führte, dürfte mit starken Grünen so seine Probleme haben.
Möglich, dass sich SPD und Grüne trotz dieser Probleme zusammenraufen. Aber was wäre dann eigentlich besser an einer rot-grünen Koalition im Vergleich zu Schwarz-Gelb? Klar ist das nicht.
- Thema Libyen: Die Enthaltung Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat am 17. März wurde am Tag darauf zunächst von führenden Politikern der SPD und der Grünen gutgeheißen - unter anderem von Gabriel und Trittin. Erst später schwenkten sie auf einen anderen Kurs ein. Gut möglich also, dass eine rot-grüne Bundesregierung sich ähnlich positioniert hätte.
- Thema Euro-Krise: Zwar schimpfen Sozialdemokraten und Grüne gerne auf die angeblich so zögerliche Kanzlerin und die uneinigen Koalitionäre. Aber ein SPD-Kanzler hätte in Sachen Euro wohl mit ähnlichen Fliehkräften in seiner Mannschaft zu tun. Und wer weiß, ob SPD und Grüne so vehement für Euro-Bonds plädierten wie derzeit, wenn sie selbst in Regierungsverantwortung wären.
Vielleicht ist es deshalb ganz gut für SPD und Grüne, dass vor 2013 die Aussichten auf einen Machtwechsel realistischerweise ziemlich schlecht sind. Denn vorzeitige Neuwahlen könnte nur die schwarz-gelbe Regierung selbst herbeiführen: Indem entweder ein Koalitionär überläuft, was sehr unwahrscheinlich ist. Oder indem die Kanzlerin sich im Parlament quasi selbst stürzt, wie einst Schröder 2005. Doch davor schreckt Merkel aus gutem Grund zurück - ihr Vorgänger verlor so seinen Job.