Vor Prozess über Pfullendorf-Skandal Generalmajor attackiert von der Leyen
Die Kaserne in Pfullendorf wurde zum Symbol für Missstände in der Truppe. Jetzt entscheidet ein Gericht über die Klagen von vier entlassenen Soldaten - und die Kritik an Ministerin von der Leyen wächst.
Vor dem Urteil über die wegen entwürdigender Aufnahmerituale in Pfullendorf entlassenen Bundeswehr-Soldaten haben hochrangige Militärs Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angegriffen. Das Ministerium und seine Leitung hätten Soldaten und einzelne Standorte "pauschal, beständig und in einem verantwortungslosen Maße" beschädigt, sagte der wegen zu schleppender Aufklärung abgesetzte Heeres-Chefausbilder Walter Spindler den "Stuttgarter Nachrichten". Die Vorwürfe der CDU-Ministerin entbehrten in ihrer Absolutheit jeder Grundlage.
Im Januar hatte der SPIEGEL die abscheulichen Ausbildungspraktiken und Gewaltrituale am Standort Pfullendorf öffentlich gemacht. Vier deswegen entlassene Soldaten aus der baden-württembergischen Elite-Kaserne klagten - sie wollen in die Truppe zurück. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen will am Nachmittag über die Forderung der zwei Zeitsoldaten und zwei Wehrdienstleistenden verhandeln. Das Urteil über die Klage der Männer zwischen 19 und 21 Jahren wird am Donnerstag bekannt gegeben.
Auch Christian Trull, ehemaliger Generalmajor der Bundeswehr, warf der Ministerin vor, die Pfullendorf-Affäre aufgebauscht zu haben. Sie neige "zu Pauschalierungen, Übertreibungen und Alarmismus", sagte Trull der "Stuttgarter Zeitung". Das befremde viele Soldaten. Ob Pannen beim Gewehr G36, rechtsextreme Vorfälle oder die Vorwürfe beim Umgang mit Relikten aus der Wehrmacht: "Überall ist das gleiche Gemenge aus Verallgemeinerung und Zuspitzung zu beobachten. So kann nicht geführt werden", sagte Trull dem Blatt.
Generalmajor Walter Spindler wiederum rügte in den "Stuttgarter Nachrichten" auch seine eigene Versetzung Ende April: "Diese stil- und würdelose Art, die Misstrauen schürt und die Bundeswehr in eine Loyalitäts- und Vertrauenskrise stürzt, wird mir immer fremd sein", sagte der General. "Was ich mir gewünscht hätte, wäre gewesen, dass ich nicht über Twitter und SPIEGEL ONLINE von meiner vorzeitigen Entbindung erfahre", hatte er zuvor bereits dem Bayerischen Rundfunk gesagt.
Auch politisch steht von der Leyen unter Druck. Der Chef der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, nannte sie die "schlechteste Verteidigungsministerin" seit der Wende. Die Vorwürfe gegen einen kritischen Oberstleutnant, der angeblich zum Putsch aufgerufen haben soll, hält der eigene Militärgeheimdienst für wenig stichhaltig.
Im Fall der vier Pfullendorfer Soldaten war die Entlassung mit der Teilnahme an mehreren als "Taufen" bezeichneten Aufnahmeritualen neuer Kameraden im Herbst 2016 und im Januar 2017 begründet worden. Das Verbleiben der Soldaten in der Bundeswehr würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden, hatte es geheißen.
Die Vorwürfe, in der gleichen Kaserne soll es bei der Sanitäter-Ausbildung zu sexuell-sadistischen Praktiken gekommen sein, wies die Staatsanwaltschaft Hechingen inzwischen jedoch als verkürzt und strafrechtlich nicht relevant zurück. Im Fall der Aufnahmerituale ermittelt die Staatsanwaltschaft noch immer wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung.
Die insgesamt jedoch zunehmende Zahl an Beschwerden über Missstände in der Truppe hatte ein Ministeriumssprecher zuvor gelobt. Es sei ein gutes Zeichen, dass die Sensibilität für solche Vorkommnisse messbar gestiegen ist, sagte er. Dem Ministerium sei eine Kultur der Offenheit und Verantwortung wichtig; man müsse Fehler erkennen, ansprechen und angehen.
apr/dpa