Politischer Jahresauftakt der Linken Club der grauen Herren
Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sollen die Linke in die Bundestagswahl führen - das wünschen sich führende Genossen. Sind die beiden Mittsechziger die einzige Hoffnung ihrer kriselnden Partei? Beim politischen Jahresauftakt forderte die Führung eindringlich ein Ende der Personaldebatte.
Berlin - Den eigenen Geburtstag verbringt man am besten im Kreis seiner Liebsten, bei Gregor Gysi sind das offenbar auch die Parteifreunde. Der Fraktionschef der Linken steht am Montag auf der Bühne im Berliner "Kosmos", dem einst größten Kino der DDR, Gesine Lötzsch drückt ihm einen Blumenstrauß in die Hände. "Eine kleine Laudatio an Gregor?", fragt ein Genosse, der durch das Programm des Politischen Jahresauftaktes der Linken führt, die Parteichefin. "Das kommt nachher", erwidert Lötzsch. Es wirkt ein bisschen linkisch, immerhin gibt's Küsschen links und Küsschen rechts.
64 Jahre ist Gysi jetzt, ans Aufhören denkt der Berliner noch lange nicht. "Ich bin überhaupt noch nicht Rentner", sagt er, "ganz weit weg" sei das. Für die Mehrheit der Gäste gilt das weniger: Auf den Stühlen sitzen überdurchschnittlich viele Männer mit grauen Haaren und Freizeitkleidung. Wer sonst außer Rentnern soll in den Mittagsstunden eines ganz normalen Werktags Zeit haben, sich die Reden von drei Spitzengenossen und einem Gast aus Griechenland anzuhören?
Dass er selbst an seinem Geburtstag zu den Genossen spreche, verrate auch etwas über den Zustand der Partei, witzelt Gysi. Über diese Koketterie wird im "Kosmos" allerdings nicht allzu laut gelacht, schließlich steht es seit geraumer Zeit nicht besonders gut um die Linke: Die Serie von Landtagswahlniederlagen, bröckelnde Zustimmungswerte und interner Streit haben Spuren hinterlassen, die Partei steuert bereits auf die nächste Pleite zu: Vor der Landtagwahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai rangieren die Genossen im Nordwesten derzeit bei drei Prozent in den Umfragen, damit würden sie aus dem Kieler Landtag fliegen.
Die allgemeine Lage der Partei wird inzwischen von vielen als so heikel angesehen, dass Lötzschs Co-Chef Klaus Ernst im "Kosmos" das Jahr 2012 zur "Bewährungsprobe" erklärt.
Ein Erfolgsrezept glauben die Genossen bereits gefunden zu haben:
"Schluss mit der Selbstbeschäftigung", sagt Gysi.
"Schluss mit der unsäglichen Selbstbeschäftigung", sagt Ernst.
Inzwischen könnte man Appelle zur Geschlossenheit und Rufe nach einem Ende von Personaldebatten als eigenen Tagesordnungspunkt von Treffen der Linken aufführen, so gebetsmühlenartig wurden sie in den vergangenen Jahren wiederholt - gewirkt haben die Mahnrufe nur selten. Dabei sei es sehr einfach, sich nicht am dauernden Personalspiel zu beteiligen, sagt Ernst. "Das geht."
"Fragen Sie im Mai noch mal"
Ganz ohne Bekenntnisse zu Personen geht es dann aber wohl doch nicht: Nachdem Gysi zuletzt in der "Superillu" seine Bereitschaft zu einer neuerlichen Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl erklärt hatte, habe sie ihn angerufen, um ihm zu sagen, dass "ich das gut finde", sagt Lötzsch. Dass sich Gysi für diesen Job Oskar Lafontaine an seiner Seite wünsche, sei "nur zu verständlich".
Der Saarländer hält sich bisher aber sehr bedeckt. "Fragen Sie im Mai noch mal", sagte Lafontaine am Sonntag auf die Frage eines Reporters nach seinen Plänen. Längst wird es in der Linken für möglich gehalten, dass der frühere Parteichef nicht nur Gysis Ruf nach einer neuerlichen Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl folgt, sondern auch noch einmal für den Vorsitz der Linken kandidiert - vor rund zwei Jahren hatte Lafontaine wegen einer Krebserkrankung auf eine erneute Kandidatur verzichtet, ist inzwischen aber wieder genesen.
Die künftige Führungsstruktur der Linken, die planmäßig auf dem Parteitag im Juni in Göttingen gewählt werden soll, ist noch völlig offen. Bisher haben lediglich Lötzsch und Fraktionsvize Dietmar Bartsch ihre Kandidaturen angemeldet.
Lötzschs Vorpreschen wurde in der Partei mit Verwunderung aufgenommen, die Berlinerin wird für das lädierte Image der Linken mitverantwortlich gemacht. Bartschs Vorstoß wiederum hat vor allem beim Linksaußen-Flügel der Partei für Stirnrunzeln gesorgt. Dort ist der unideologische Reformer, der die Genossen in Bündnisse mit SPD und Grünen führen will, ein Feindbild. Spätestens seit Bartschs Auseinandersetzung mit Lafontaine gilt er etlichen Fundamentalisten nicht mehr als vermittelbar. Als ihm Gysi Anfang 2010 öffentlich Illoyalität gegenüber dem damaligen Parteichef vorgeworfen hatte, verzichtete der Stralsunder auf eine erneute Kandidatur als Bundesgeschäftsführer.
Bartsch wünscht sich Lafontaine für einen wichtigen Posten - und umgekehrt?
Aus Bartschs Sicht ist dieser alte Konflikt ausgestanden. "Wir sind miteinander im Dialog", sagte Bartsch am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Er hoffe, dass Lafontaine "in den Wahlauseinandersetzungen des Jahres 2013 auch bei der weiteren Profilierung der Partei eine sehr wichtige Rolle spielt" - das war nichts anderes als eine Aufforderung zur Spitzenkandidatur.
Von Lafontaine sind solche freundlichen Worte über Bartsch nicht bekannt. Er wünscht sich Bartsch nicht als Vorsitzenden, würde dies "nur zähneknirschend hinnehmen, wenn Sahra Wagenknecht Co-Vorsitzende" wird - so sagt es eine führende Genossin, die nicht namentlich genannt werden möchte.
Wagenknecht, die Lafontaine Ende vergangenen Jahres als seine neue Lebensgefährtin vorstellte, hat allerdings eine Kampfkandidatur gegen Lötzsch ausgeschlossen. Entsprechend hartnäckig halten sich in der Partei die Gerüchte, dass Lötzsch zur Vorsitzenden der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung gemacht und auf diesem Weg abgeschoben werden könnte - dann wäre der Weg frei für ein mögliches Duo aus der einstigen Frontfrau der Kommunistischen Plattform und Bartsch.
Oder eben doch am Ende Lafontaine selbst?
Die Kritik seiner Parteifreunde an der SPD dürften dem 68-Jährigen, der nicht ins "Kosmos" gekommen war, jedenfalls gefallen haben: Natürlich müsse man zu Kompromissen bereit sein, wenn man mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten wolle, sagte etwa Gysi - und listete im selben Atemzug all die Hürden auf, die einer solchen Zusammenarbeit im Wege stünden: Ohne einen "unverzüglichen und vollständigen" Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, einen Verzicht auf weitere Kriegseinsätze, eine Ost-West-Angleichung von Renten und Löhnen, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und einen Verzicht auf Hartz IV sei mit der Linken "nichts machbar".
Und überhaupt: Die SPD habe zuletzt nach mehreren Landtagswahlen bewiesen, dass sie Bündnisse mit der Union wolle, statt mit der Linken zu kooperieren. "Die SPD will die Union heiraten", sagt Gysi. Die beharrlichen Attacken gegen die SPD gehören zum Standardrepertoire bei Gysi und anderen Spitzengenossen.
"Die Zukunft? Das ist das gründlich Andere", dieses Zitat von Christa Wolf hat die Linke für ihren Jahresauftakt als Motto ausgewählt - anders als sonst war im "Kosmos" eigentlich nichts.