Rückbau des Reaktors Jülich Heißer Meiler
In NRW steht eine der umstrittensten Atomanlagen weltweit: der Versuchsreaktor von Jülich. Erst jetzt beim Abriss der Forschungsruine kommt ans Licht: Der Reaktor wurde über Jahre hinweg mit zu hohen Temperaturen gefahren. Und ist möglicherweise nur knapp einer Katastrophe entgangen.
Die Aufgabe ist so gewaltig wie gefährlich: Ein Reaktorkern, mit 2100 Tonnen Gewicht, wird aus seinem Gehäuse herausgeschnitten. Sieben Spezialkräne wuchten den 26 Meter hohen Koloss anschließend auf einen gigantischen Luftkissenschlitten. Nur wenige hundert Meter soll die Reise gehen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm.
Der Aufwand hat guten Grund: Der Reaktorkern ist mit hohen Mengen radioaktiven Isotopen wie Cäsium-137 und Strontium-90 verstrahlt. Zudem schlummert in seinem Innersten eine tückische Fracht: 198 kugelförmige Brennelemente, teilweise mit hoch angereichertem Uran, die sich verhakt haben und nicht mehr entfernen lassen.
Mit havarierten Atomkraftwerken wie Tschernobyl oder Harrisburg hat das alles nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich bei dem Reaktor um einen eigentlich unscheinbaren Versuchsreaktor in der nordrhein-westfälischen Provinz, in dem kleinen Städtchen Jülich, rund 60 Kilometer von Düsseldorf entfernt.
In spätestens zwei Jahren soll er in ein eigens gebautes Zwischenlager auf dem Gelände des dortigen Forschungszentrums eingeschlossen werden. Damit würde nicht nur einer der kompliziertesten und gefährlichsten Rückbauten einer Atomanlage nach mehr als 15 Jahren zu Ende gehen. Mit dem "Sicheren Verschluss" hinter dicken Betonmauern wird wohl auch ein trauriges Stück deutscher Atomgeschichte endgültig zu Grabe getragen: die Suche nach einem eigenen Atomreaktortyp mit in Deutschland entwickelter Technik.
1967 ging der Versuchsreaktor in Betrieb, ein sogenannter Kugelhaufenreaktor, 21 Jahre später wurde er abgeschaltet. Nach und nach wurde die extreme Strahlenbelastung bekannt. Allen Beteiligten, erinnern sich Mitarbeiter, wurde klar, dass eine umfassende Lösung für die Sanierung gefunden werden musste. Und dass die bis dahin verantwortlichen Betreiber - 15 Stadtwerke, mit diesem Rückbau bis zur "grünen Wiese", wie es das Atomgesetz vorschreibt, überfordert waren.
Und so übernahm der Bund die Forschungsruine 2003 und legte das Abwracken in die bewährten Hände von Dieter Rittscher. Der Chef des bundeseigenen Betriebes Energiewerke Nord (EWN) hat bereits sechs ostdeutsche Kernkraftwerke abgebaut und hilft der russischen Regierung beim Abwracken der maroden Atom-U-Boote im Nordmeer.
Arbeit im Unterdruck
Dem hartgesottenen Profi war schnell klar, dass er in Jülich eine besondere Herausforderung vor sich hatte. "Alleine die Menge an radioaktivem Kohlenstoff-14", so Rittscher, "ist höher als die genehmigte Gesamtmenge für das Endlager Schacht Konrad." Und so entwickelten Rittscher und seine Leute eine besondere Technik: Um den strahlenden Graphitstaub im Reaktor zu binden und den neutronenversprödeten Stahlmantel zu festigen, wurde der gesamte Reaktor mit mehr als 500 Kubikmetern Porenleichtbeton ausgefüllt. Nach menschlichem Ermessen seien damit alle Gefahren für Mensch und Umwelt ausgeschlossen worden.
Zudem wurde ein 60 Meter hohes Gebäude um den Reaktor gebaut, in dem permanenter Unterdruck herrscht, damit keine Schadstoffe nach außen dringen können. Mehr als 100 Mitarbeiter arbeiten hier seit sechs Jahren an den Vorbereitungen für das Herausheben des Reaktors; je nach Gefahrengrad in unförmigen Vollschutzanzügen, die durch Schläuche mit Luft versorgt werden.
"Auf diese spektakuläre Aktion", weiß Rittscher, "schaut die gesamte Welt - und wir haben nur einen einzigen Versuch." Ende 2011, mehr als 20 Jahre nach der Stilllegung des Versuchsreaktors, soll es endgültig so weit sein. Dann soll die zweitägige Reise in das nur 200 Meter weiter errichtete Zwischenlager beginnen.
Mehr als eine halbe Milliarde Euro wird der Rückbau des Reaktors bis dahin voraussichtlich gekostet haben - Endlagerung und Reinigung des Bodens nicht eingeschlossen.
- 1. Teil: Heißer Meiler
- 2. Teil: Sorgloser Umgang mit einem Problemreaktor