Abschuss von Terrorflugzeugen Koalition legt Pläne für Grundgesetzänderung auf Eis
Die Bundesregierung macht kehrt: Schwarz-Rot will nun doch zunächst keine Grundgesetzänderung, um den Abschuss von Terrorflugzeugen zu erleichtern. Darauf einigten sich Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Gabriel - eine Schlappe für den Innenminister.
Berlin - Die Bundesregierung hat die umstrittenen Pläne, den Abschuss von Terrorflugzeugen zu vereinfachen, vorerst gestoppt. Am Donnerstag verabredeten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) und weitere Minister nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen, die angestrebte Grundgesetzänderung zunächst nicht weiter zu verfolgen. Das Vorhaben war erst am Dienstag öffentlich geworden. Aus den Reihen der Opposition und von Innenexperten war daraufhin massive Kritik laut geworden.
Die Kehrtwende der Bundesregierung kommt überraschend. Die neuen Terrorabwehrpläne aus dem Haus von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) waren seit Wochen intensiv vorbereitet worden. So beschloss das Kabinett bereits Ende Januar auf der Klausur in Meseberg, Artikel 35 des Grundgesetzes zu ändern. Der entsprechende Gesetzentwurf befand sich seit Ende Februar in der Ressortabstimmung. Die Öffentlichkeit wurde über das Vorhaben, das im Eilfall von "überregionalen Katastrophennotständen" einen Bundeswehreinsatz im Inneren ermöglichen soll, bis Anfang dieser Woche nicht informiert.
De Maizière (CDU) hatte am Dienstag auf einen ersten Bericht von SPIEGEL ONLINE mit dem Hinweis reagiert, man sei bei den Planungen für die Grundgesetzänderung in der Startphase. "Wir befinden uns in Sondierungen, mehr ist dazu noch nicht zu sagen", sagte er. Seine Staatssekretäre Günter Krings und Emily Haber hatten das Vorhaben im Grundsatz bestätigt.
Kritiker fürchten Einfallstor für Bundeswehreinsatz im Inneren
Für den Innenminister ist die Pleite des Gesetzes ärgerlich. Hintergrund des plötzlichen Stopps dürfte auch Ärger in den eigenen Reihen sein. Sowohl in der Unionsfraktion als auch bei den Sozialdemokraten hatte es nach den ersten Berichten über die geplante Grundgesetzänderung erhebliche Irritationen gegeben. Dass auch viele Innenexperten nichts von dem Vorhaben wussten, stieß auf Unverständnis.
Allerdings ist die Angelegenheit auch für die SPD-Führung unangenehm. Sie muss sich fragen lassen, warum sie dem Vorhaben im Januar im Grundsatz zugestimmt hat. Dass ein solch sensibler Gesetzentwurf ohne öffentliche Diskussion in die Ressortabstimmung geht, gilt als unüblich. Normalerweise sind wichtige Vorhaben zumindest in Grundzügen bekannt, bevor ein konkretes Regelwerk vom federführenden Ressort an die übrigen Ministerien verschickt wird. Auch die Eile überraschte. Für die Grundgesetzänderung hätte die Große Koalition eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat benötigt. In der Länderkammer wären Union und SPD damit auf die Grünen angewiesen gewesen. De Maizière hatte noch um Unterstützung bei den Grünen geworben. Am Donnerstag schien dann den Beteiligten ein Alleingang offenbar als zu riskant.
Die immer mal wieder diskutierte Änderung von Artikel 35 ist ein heikles Unterfangen. In der Verfassung sollte nach dem ursprünglichen Willen von Schwarz-Rot geregelt werden, dass in außergewöhnlichen Gefahrensituationen mit einem engen Entscheidungszeitraum der Bundesverteidigungsminister der Bundeswehr den Einsatzbefehl geben dürfte. So könnten die Streitkräfte etwa ein von Terroristen gekapertes Flugzeug im äußerten Falle abschießen. Kritiker befürchten, dass mit der Regelung das Tor für einen Bundeswehreinsatz im Inneren generell geöffnet wird.
Über die Grundsatzfrage, ob die Bundeswehr im Inland überhaupt gegen Terroristen eingesetzt werden darf, wird schon seit Jahren heftig gestritten. Mehrere Anläufe, das Problem zu lösen, gingen bereits fehl. Das Bundesverfassungsgericht hatte erste Pläne zur Regelung eines möglichen Abschusses von Terrorfliegern gestoppt.