Ärger bei Schwarz-Gelb Kritiker aus eigenen Reihen torpedieren Energiewende
Röttgen ist weg, Altmaier noch neu im Amt - und plötzlich gerät die Energiewende in die Kritik. In der schwarz-gelben Koalition ist eine neue Öko-Debatte losgebrochen. FDP-Fraktionschef Brüderle verlangt den Bau von Kohlekraftwerken, selbst längere Atomlaufzeiten sind auf einmal wieder im Gespräch.
Berlin - Wie ernst ist es der Regierung mit dem Ausstieg aus der Atomenergie? In der Regierungskoalition werden die Stimmen derer lauter, die das Gelingen einer ökologischen Energiewende in Zweifel ziehen. Das Vorhaben, bis zur Abschaltung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland den Anteil der erneuerbaren Energien auf 40 Prozent zu erhöhen, sei ein überaus ehrgeiziges Ziel, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle der "Welt am Sonntag". "Wir werden eine ganze Reihe von Gas- und Kohlekraftwerken bauen müssen - möglicherweise mehr, als wir zunächst dachten."
Der frühere Bundeswirtschaftsminister warf den Bundesländern vor, ohne Rücksicht auf Liefersicherheit eine autarke Energieversorgung anzustreben.
Kritik am bisherigen Energiekonzept kommt auch aus der CDU. Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) brachte gar eine Verzögerung des Atomausstiegs ins Gespräch. "Bisher reduziert sich die Energiewende leider darauf, dass wir die Atomkraftwerke abschalten wollen, aber die Konsequenzen nicht zu Ende gedacht haben", sagte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Zeitung. "Wir haben die Kostenseite überhaupt nicht im Griff."
Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte dem Blatt, langfristig seien zwar Wind und Sonne als Energieträger das Ziel. Auf dem Weg dorthin werde es allerdings Etappen geben, auf denen Gas und Kohle Lücken schließen müssten.
Im für die Energiewende zuständigen Umweltministerium ist gerade erst der Minister ausgetauscht worden. Nach dem erzwungenen Abgang Norbert Röttgens führt das Ministerium nun der Merkel-Vertraute Peter Altmaier (CDU). Offenbar versuchen die Kritiker der Energiewende, die Personalrochade für eine neue Akzentuierung der Umweltpolitik zu nutzen.
Altmaier hält an Kurs fest
"Das Grundproblem dieser Bundesregierung ist, dass sie nicht an die Energiewende glaubt", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir in "Welt am Sonntag". Ob der neue Umweltminister Altmaier den Umbau der Energieversorgung wirklich vorantreiben könne, werde sich vor allem daran entscheiden, ob er sich gegen die Kohle- und Atomlobby in den eigenen Koalitionsreihen behaupte.
Altmaier selbst, seit wenigen Tagen im Amt, bezeichnete die Energiewende als "bislang größte Herausforderung" in seinem politischen Leben. Trotzdem fühle er sich darauf aber "gut vorbereitet".
Forderungen der Wirtschaft oder der Politik nach einer Rückkehr zur Kernkraft sehe er nicht. "Die Kernenergie in Deutschland ist Geschichte. Der Ausstieg ist beschlossen. Und ich kenne keine ernstzunehmende Kraft in Deutschland, die ihn revidieren will", sagte er der "Welt am Sonntag". "Die Akzeptanz für die Kernenergie war in Deutschland nach Fukushima nicht mehr vorhanden, und es gibt sie auch heute nicht. Deutschland kann als erste Volkswirtschaft in Europa die Energiewende schaffen."
Massiver Druck der Industrie
Manche von Altmaiers Parteifreunden scheinen das aber offenbar anders zu wollen. Und auch in der Wirtschaft werden Stimmen laut, die am bisherigen Röttgen-Plan für die Energiewende zweifeln. So griff Werner Wenning, der E.on-Aufsichtsratsvorsitzende, die Politik scharf an. "Es gibt bis heute keine verlässliche Planung für dieses politische Projekt", sagte er dem Blatt. "Das muss sich schnellstens ändern. Denn die Energiewende ist der größte Eingriff in die Wertschöpfungskette der deutschen Industrie, den es je gegeben hat."
Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), spricht in einem Interview offen aus, dass er auf einen Neuanfang mit dem neuen Minister hoffe: "Es gibt Anzeichen dafür, dass unsere Botschaften angekommen sind", sagte er. "Es gibt keinen Grund, heute die Schlachten von gestern zu schlagen."
Der Atomausstieg sei ein hochkomplexes Projekt, dessen Erfolg nicht allein durch politische Willensbekundungen herbeizuführen sei. "Ein Aufbruch zu mehr Europapolitik in der Energiewende ist überfällig. Warum sollte das mit dem neuen Umweltminister nicht gelingen?", sagte er.
Emotional sei der "Einstieg - in was eigentlich?" bei den Bürgern noch gar nicht angekommen. Sonst könnten vielerorts zügig Leitungen gebaut werden. "Für diese Projekte müssen wir mehr Akzeptanz finden. Wir müssen eine bewegende Story und eine glaubwürdige Strategie haben, wie wir die Energiewende zum Erfolg machen." Erforderlich sei "ein ordentliches Management, damit unsere Unternehmen im internationalen Vergleich nicht in Gefahr geraten".
Die Kommunen hingegen warnten vor einem Scheitern der Energiewende. "Bislang profitieren nicht die Gemeinden, sondern große Investoren. Das muss sich ändern, sonst ist die Energiewende in Gefahr", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Denn es seien die Gemeinden, die Eingriffe in die Landschaft durch Stromtrassen oder Windräder hinnehmen und vor ihren Bürgern vertreten müssten. Gerade bei der Besteuerung von Windrädern gebe es Nachbesserungsbedarf.
jbr/afp/dapd