Union vor Zerreißprobe AKW-Dinos ziehen ins letzte Gefecht
Grün, grüner, Union? Kanzlerin Merkel, Umweltminister Röttgen und CSU-Chef Seehofer basteln an einer radikalen Energiewende. Rücksicht auf die letzten Atom-Freunde in den eigenen Reihen wollen sie nicht mehr nehmen. Doch die kommen jetzt aus der Deckung.
Berlin - So leicht will sich Volker Bouffier dann doch nicht geschlagen geben. Mehr "Realismus und Fakten" fordert Hessens Ministerpräsident in der Atomdebatte, das sei auch eine Frage der "politischen Führung". Er habe, sagt Bouffier, "keine Lust, dass mir permanent jemand erklärt, was nach dem Moratorium passiert", ohne das Ergebnis der laufenden Sicherheitschecks zu kennen.
Der letzte Herold der konservativen CDU bäumt sich auf. Auch wenn er es nicht klar benennt - das Ziel seiner Attacken, lanciert im "Stern", ist klar. Es sind die forschen Kräfte in seiner Partei, denen nach dem GAU von Fukushima der Ausstieg aus der Kernenergie nicht schnell genug gehen kann. Es sind mächtige Kräfte, allen voran Umweltminister Norbert Röttgen, der das atomfreie Öko-Zeitalter lieber heute als morgen ausrufen will. Und die Kanzlerin lässt ihn machen. Japan habe schließlich alles verändert, betont Angela Merkel stets.
Volker Bouffier hat dieses Credo kürzlich auch noch unterschrieben. Mit gebeugtem Haupt saß er da im Kanzleramt, kurz nach den Explosionen im fernen Fukushima. Kleinlaut begrüßte der Atomfreund das Moratorium für die Laufzeitverlängerung und die vorübergehende Stilllegung der Altmeiler, schloss sogar "ausdrücklich" nicht aus, dass die umstrittenen Biblis-Blöcke in Südhessen nie wieder ans Netz gehen würden.
Doch nun sind wieder ein paar Wochen ins Land gegangen, die Katastrophenbilder aus Japans Trümmerreaktor verschwimmen langsam in der täglichen Nachrichtenroutine. Jetzt geht Bouffier das alles viel zu schnell mit der Atomwende, für Biblis ist plötzlich das letzte Wort noch nicht gesprochen, er klagt über einen "Sonderweg", den Deutschland auf der Welt gehe, ruft nach "Vernunft" statt Emotion. Und Bouffier ist nicht allein in der CDU.
Je weiter weg das Drama von Fukushima auf der Zeitachse rückt, umso lauter wird das Murren der Zweifler. Es murren die letzten beinharten Ideologen, die schon immer für die Atomkraft waren, weil die Grünen dagegen sind. Es murren die Wirtschaftsfreunde, die den Groll der Energieversorger fürchten und vor hohen Strompreisen warnen. Es murren die Haushälter, die sich fragen: Wer soll die Energiewende eigentlich bezahlen?
Unmut in der Unionsfraktion
Am Dienstagnachmittag in der Sitzung der Unionsfraktion meldeten sich die Mahner zu Wort. Fraktionschef Volker Kauder bestand darauf, dass der Sparkurs der Regierung nicht berührt werden dürfe. "Mehr Transparenz über die Kosten" forderte Energieexperte Joachim Pfeiffer (CDU). Parteifreund Klaus-Peter Willsch beklagte, bevor die Basis eingebunden werde, sei bereits alles entschieden. Der CSU-Abgeordnete Franz Obermeier warnte vor Preissteigerungen: "Das muss man den Leuten auch sagen." So ging das rund 90 Minuten lang, ruhig und sachlich zwar, aber, so schildert es ein Teilnehmer, "latent aggressiv" gegen den anwesenden Umweltminister.
Der hatte tags zuvor in einem Interview erklärt, was er von jenen halte, die sich nun gegen die Energiewende stemmen: Sie würden "das Schicksal der Dinosaurier teilen und aussterben", sagte Röttgen. Lustig fanden seine Kritiker in den eigenen Reihen das nicht. Vor den Abgeordneten gab sich der CDU-Vize am Dienstag denn auch zurückhaltender, berichten Teilnehmer. Er versuchte zu beschwichtigen: Der Strompreis für eine Kilowattstunde, sagte Röttgen, werde sich in den nächsten Jahrzehnten nur um 0,1 bis 0,9 Cent erhöhen.
Die Kanzlerin hat Röttgen diesmal auf seiner Seite. Als er im Spätsommer 2010 gegen ausgiebige Laufzeitverlängerungen für die deutschen AKW kämpfte, ließ Merkel ihn noch auflaufen. Nun denkt sie gar nicht daran, ihn zurückzupfeifen, wenn er mit Ausstiegsszenarien spielt, mit denen die schwarz-gelbe Koalition sogar Rot-Grün noch überholen würde.
Angela Merkel hat die Energiewende zu ihrem zentralen Projekt erhoben. So entschlossen sie im "Herbst der Entscheidungen" noch für die Kernkraft kämpfte, so entschlossen setzt sich die Kanzlerin nun für deren Ende ein. Kritik an diesem Kurs hält sie für kleinlich im Vergleich zum großen Ziel: den Einstieg ins Zeitalter der regenerativen Energien. Schon am Montag im Parteipräsidium verbat sie sich weitere "Negativ-Bewertungen" der Nörgler.
In der CSU brodelt es
Mit denen hat auch die Schwesterpartei CSU derzeit noch zu kämpfen. Die Christsozialen machen wohl die wundersamste Wandlung durch - einst Heimat der Atomfans, marschieren CSU-Chef Horst Seehofer und sein Umweltminister Markus Söder plötzlich an der Spitze der Anti-AKW-Bewegung. Söder hat sogar einen "Südwettbewerb" mit dem bald grün-rot regierten Baden-Württemberg um den schnellsten Ausbau der erneuerbaren Energien ausgerufen. Grün, grüner, CSU. "Das macht doch alles keinen Sinn", sagt ein Grande der Christsozialen.
In der Partei brodelt es. "Es geht weniger um Wettläufe mit anderen, wir brauchen stimmige Konzepte", sagt CSU-Fraktionschef Georg Schmid. Aussteigen wollen sie jetzt alle, aber darüber doch bitte nicht grüner als die Grünen werden. Auch in der CSU sind besonders die Wirtschaftspolitiker empört über Seehofers radikale Atomwende, sie fürchten um die Glaubwürdigkeit.
Auf einer Telefonkonferenz der CSU-Mittelstandsunion (MU) entlud sich kürzlich der Ärger. Die meisten in der Partei würden sich "diskussionslos den Vorgaben von Seehofer unterwerfen", wird MU-Chef Hans Michelbach im Protokoll der Sitzung zitiert. "Er wisse nicht, wie man in Bayern die energieintensive Wirtschaft halten könne, wenn man einen Wettlauf mit den Grünen zu Sofortabschaltungen führe", heißt es weiter. Wahlprogramm und Koalitionsvertrag? Das Protokoll vermerkt: "Michelbach berichtet, dass sich Merkel und Seehofer überhaupt nicht mehr für diese Unterlagen interessieren."
Es gibt dieser Tage viele solcher Stimmen in den Unionsparteien. Nicht wenige sind verwirrt über das voranschreitende schwarze Anti-AKW-Quartett aus Merkel, Röttgen, Seehofer und Söder: Sind die überhaupt noch einzubremsen? Es sieht nicht danach aus. Söder hat von Seehofer den Auftrag bekommen, bis Mitte Mai ein eigenes CSU-Energiekonzept auszuarbeiten. Schon jetzt ist klar: Es wird ein grünes Konzept.
Auch die Kanzlerin ist fest entschlossen, ihren Plan für den schnellen Ausstieg durchzuziehen, auch gegen den Widerstand der Atomfreunde. Ihre Strategen hoffen, dass die Zweifler bald verstummen werden. Man setzt auf die eingesetzte Ethik-Kommission, die geplanten Veranstaltungen mit der CDU-Basis und auch den FDP-Parteitag Mitte Mai - von überall sollen die Signale für den beschleunigten Atomausstieg kommen.
Möglichst auch schon vom Atomgipfel am kommenden Freitag im Kanzleramt. Merkel hat die Ministerpräsidenten aller Bundesländer in die Regierungszentrale eingeladen. Kritische Fragen wird sich die Kanzlerin dann wohl nicht nur von den SPD-Länderfürsten anhören müssen. Auch bei Volker Bouffier muss sie noch Überzeugungsarbeit leisten.