Affäre um G36-Sturmgewehr Chaostage bei von der Leyen
Ursula von der Leyen steht in der G36-Affäre unter Druck. Nun feuert sie einen Ex-Abteilungsleiter - doch viel mehr als ein Bauernopfer ist das nicht. Die Verteidigungsministerin hat das eigene Büro offenbar kaum im Griff.
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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen muss in der Affäre über den Umgang mit den Problemen beim Sturmgewehr G36 erhebliche Unregelmäßigkeiten in ihrer eigenen Amtszeit einräumen. Staatssekretär Gerd Hoofe wurde nun von ihr beauftragt, mit einer Taskforce aufzuklären, warum die Ministerin im März 2014 nicht über wichtige Details der Affäre informiert wurde, obwohl ein entsprechender Vermerk an ihr Büro gerichtet war.
Von der Leyens Sprecher Jens Flosdorff sagte am Freitagmorgen, es handele "sich nicht um einen glücklichen Vorgang", der sicherlich personelle Konsequenzen haben werde. Nun setze man alles daran, "dass sich solche Vorgänge nicht mehr wiederholen", dazu würden Akten gesichtet, die Beteiligten aus dem Frühjahr 2014 befragt. "Der Finger zeigt ganz klar auch ins eigene Haus", so Flosdorff.
Schon am Nachmittag fielen dann Entscheidungen, wie so oft will die Ministerin zeigen, dass sie handelt und nicht zaudert. Der frühere Abteilungsleiter Detlef Selhausen wurde kurzerhand gefeuert, wenige Minuten danach wurde die Boulevard-Presse informiert. Langsam entwickelt sich das bei von der Leyen zum Standardverhalten, wenn sie unter Druck gerät.
Die neue Entwicklung richtet zum ersten Mal den Fokus der G36-Affäre auf die aktuelle Ministerin, die das Ressort im Dezember 2013 übernahm. Bisher war nur bekannt, dass die Probleme des Gewehrs, das heiß geschossen an Präzision verliert, von Vorgänger Thomas de Maizière nicht ernst genommen wurden. Jahrelang wurde laviert und stoisch negiert. Von der Leyen hingegen handelte, energisch - so zumindest ihre Darstellung. Vor Kurzem dann besiegelte sie das Aus für das G36.
Die Hinweise auf ein laxes Amtsverständnis fallen nun jedoch in von der Leyens Zeit. Im März 2014 erreichte ihr Büro ein brisanter Vermerk, der einen alarmierenden Vorgang schildert. So hätten einige Monate zuvor der G36-Hersteller und die Rüstungsabteilung des Wehrressorts beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) interveniert. Der Geheimdienst sollte Schluss machen mit "der jahrelangen negativen" Medienberichterstattung, unter anderem bei SPIEGEL ONLINE.
Ein einzigartiger Vorgang
Die Zeilen sind ein eindeutiger Hinweis, dass Heckler & Koch und der Abteilungsleiter, der nun gefeuert wurde, Hand in Hand agierten. Zunächst wurde am 20. November die H&K-Geschäftsführung beim MAD "mit dem Petitum des Tätigkeitwerdens" vorstellig. Am 6. Dezember dann setzte Abteilungsleiter Selhausen nach, drang schriftlich auf eine MAD-Operation und konstruierte die Verschwörungstheorie, ausländische Dienste würden die Medienkampagne steuern.
Nachdem SPIEGEL ONLINE und die "SZ" am Dienstag über den Vermerk berichtet hatten, bewerte von der Leyen die Geschehnisse als skandalös. Die Versuche von Heckler & Koch nannte sie "schon sehr befremdlich". Dass der Rüstungschef sich die Sache zu eigen machte, sei "völlig unakzeptabel". Offenkundig um die Vorwürfe noch zu untermauern, hob von der Leyen sogar die Geheimhaltung des Vermerks ("amtlich geheim gehalten") auf und gab ihn an die Presse, ein einzigartiger Vorgang.
So alarmiert von der Leyen heute auch agiert, im März 2014 will sie von dem Vermerk nichts mitbekommen haben. Das Papier sei "der Ministerin nicht vorgelegt worden", sie sei "auch nicht mündlich darüber unterrichtet worden", sagt ihr Sprecher. Stattdessen habe ihr Büroleiter den Vermerk gelesen und als "lag vor" paraphiert aber dann in die Registratur gesandt. Auch mehrere Top-Beamte und Militärs zeichneten das Papier, niemand aber soll von der Leyen gewarnt haben.
Schlaglicht auf die Arbeit der Ministerin
Hört man der Opposition zu, werfen die Vorgänge ein Schlaglicht auf die Arbeit der Ministerin. "Offensichtlich hat von der Leyen keinen Überblick über das Chaos in ihrem Ministerium, sie kennt nicht einmal die Vorgänge in ihrem eigenen Büro", sagt die Grüne Agnieszka Brugger. Die Ministerin, die alles anders machen wollte, hört das nicht gern. Für den drohenden Untersuchungsausschuss ist eine "Ich wusste von nichts"-Verteidigung schon jetzt eine Bürde.
Wie von der Leyen weiter vorgeht, wird spannend. Die Entlassung Selhausens birgt komplizierte Details, er ist als Beamter beurlaubt, als Chef des Fuhrparks der Bundeswehr aber bei einer Privatfirma angestellt. Von der Leyens Büroleiter ist bereits nicht mehr im Team, er wechselte auf einen Posten ins Ausland. Was auch immer von der Leyen auch tut, eins kann sie nicht mehr ändern: Die Pannen-Geschichte G36 ist seit dieser Woche auch ihre Affäre.
Ob sich von der Leyen mit der heutigen Personalentscheidung Ruhe verschafft, ist ungewiss. Hastige Entlassungen heizen Affären meist eher an als dass sie für Ruhe sorgen. Zudem werden sogenannte Bauernopfer in der Politik als Schuldeingeständnis gewertet. "Eine Ministerin ist für alle Abläufe verantwortlich und kann die Schuld nicht von sich weg schieben", stellt die Verteidigungsfachfrau Brugger deswegen jetzt schon fest.
Zusammengefasst: In der G36-Affäre feuert Verteidigungsministerin von der Leyen einen ehemaligen Abteilungsleiter, der mit dem Hersteller Heckler und Koch gekungelt haben soll. Sie selbst muss aber erhebliche Unregelmäßigkeiten im eigenen Büro eingestehen.
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