Wen Jiabao in Berlin Edel-Empfang für die neue Supermacht
Aller Ärger scheint vergessen, jetzt wird eine Premiere gefeiert: Zum ersten Mal in der Geschichte Chinas setzt sich eine Regierungsdelegation bei ihren Gastgebern an den Kabinettstisch - bei Kanzlerin Merkel in Berlin. Das heikle Thema Menschenrechte hat Peking vorher geschickt entschärft.
Berlin - Es wird ein besonderer Tag. Noch kein chinesischer Ministerpräsident ist mit einer derart großen Delegation nach Deutschland gereist, allein 13 Minister begleiten Wen Jiabao am Montag nach Berlin. Ein historisches Ereignis steht an: Zum ersten Mal in den fast vier Jahrzehnten seit Aufnahme diplomatischer Beziehungen wird es deutsch-chinesische Regierungskonsultationen geben. Bislang gibt es gemeinsame Kabinettssitzungen der Bundesregierung nur mit Israel, Indien, Russland, Polen und Frankreich.
Noch nie hat China seine Minister mit den Kollegen eines anderen Landes an einem Tisch sitzen lassen. Dementsprechend stark rührt Peking die Werbetrommel. Der Besuch des Ministerpräsidenten sei "ein neuer Meilenstein in der Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen", freut sich Chinas Botschafter in der Bundesrepublik, Wu Hongbo. Die Beziehungen stünden mit den Konsultationen "vor einem neuen Start", würden mit "neuer Substanz" gefüllt, hofft Pekings Vertreter in Berlin.
Es sind indirekte Hinweise auf die jüngere Vergangenheit. Vor vier Jahren sorgte Angela Merkel mit dem Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt für Ärger in Peking. Doch mittlerweile scheint das Thema abgehakt. "Wir haben keine Angst vor Diskussionen solcher Fragen", so Botschafter Wu Hongbo. Nur wenn sie mit dem Ziel geführt würden, "den anderen seine Meinung aufzuzwingen, wird China das nicht akzeptieren". Es ist die typische Art und Weise, in der sich die Volksrepublik eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten verbittet - vor allem wenn es um Fragen wie Todesstrafe, Folter und willkürliche Verhaftungen geht.
Peking gibt sich entspannt
Die Lage der Menschenrechte wird dennoch ein Thema sein - auf deutscher Seite. Außenminister Guido Westerwelle erklärte, "die Qualität und Tiefe unserer Beziehungen erlaubt es, auch schwierigere Themen offen anzusprechen". Deshalb werde man den chinesischen Gästen verdeutlichen, "wie wichtig für uns die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Medien und die Achtung der Menschenrechte sind", so der FDP-Politiker.
Trotz solcher Mahnungen wird deutlich, dass China an einer Entspannung gelegen ist. Welche Bedeutung Peking dem Großereignis zumisst, zeigt allein die Tatsache, dass die Pforten der Botschaft in Berlin extra zu einer Pressekonferenz geöffnet wurden - ein seltenes Ereignis.
Die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, die im vergangenen Jahr von Merkel vorgeschlagen wurden, sind der Versuch, den Beziehungen neuen Schwung zu verleihen. Schließlich seien sie "nicht ganz frei von Problemen", räumt Pekings Mann in der deutschen Hauptstadt ein. Er sei aber "großer Zuversicht", dass sich die Beziehungen "sehr gut" weiterentwickeln. Er fügt aber noch hinzu: Wenn sie von gegenseitigem "Respekt" und "Gleichberechtigung" geprägt seien.
Übersetzt heißt das in etwa: Sagt uns nicht, was wir zu tun haben. Eure Werte - Demokratie und Menschenrechte - mögen bei euch gelten; bei uns ist das ein wenig anders.
Die aufstrebende Wirtschaftsmacht präsentiert sich selbstbewusst. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern betrug nach Angaben Pekings im vergangenen Jahr 142 Milliarden Dollar, ein Drittel aller chinesischen Exporte in die EU gingen nach Deutschland. Die Menge dürfte in diesem Jahr noch übertroffen werden, hofft die chinesische Seite. Umgekehrt ist Deutschland der größte europäische Investor in der Volksrepublik. Nicht ohne Probleme - wiederholt mahnen deutsche Unternehmen die Hindernisse bei Investitionen in China an; oft gelingen sie nur, wenn die deutsche Seite technisches Know-how zur Verfügung stellt. Zuletzt sorgten die Chinesen mit ihrer Haltung gegenüber Airbus für Verstimmung in der EU.
Wirtschaftlich stark, im Ton bescheiden
Während in deutschen Medien China bereits als Supermacht gehandelt wird, schätzt die chinesische Seite die eigene Rolle durchaus selbstkritisch ein. Man sei weiter ein Entwicklungsland, heißt es. Selbst den Titel Exportweltmeister, den China den Deutschen abgenommen hat, relativiert man höflich. "In der Wirklichkeit ist Deutschland viel stärker als China", so der Diplomat Li Nianping kürzlich auf einer Veranstaltung mit deutschen Unternehmern.
Im vergangenen Jahr habe der chinesische Export 1580 Milliarden Dollar betragen, geschaffen von 1,3 Milliarden Menschen, Deutschland hingegen exportiere Waren im Wert von über 900 Milliarden Dollar bei einer Bevölkerung von 83 Millionen, habe daher "im Durchschnitt die Nase weiter vorne", schmeichelte der chinesische Vertreter der Berliner Botschaft.
Wen Jiabaos Aufenthalt in Berlin ist die dritte und letzte Station seiner Europareise nach Visiten in Ungarn und Großbritannien. Ein umfangreiches Programm steht am Montag und Dienstag an. Wen wird am Montagabend zunächst ein Essen mit Merkel in der Villa Liebermann am Wannsee haben, am darauffolgenden Tag werden beide am sechsten deutsch-chinesischen Wirtschaftsforum teilnehmen, danach im Kanzleramt die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen leiten. Schließlich gibt es bilaterale Treffen der Minister beider Regierungen. Zum Abschluss wird Bundespräsident Christian Wulff Wen empfangen. Konkret sollen eine Reihe von Verträgen in Berlin unterschrieben werden:
- zwischen den Ministerien unter anderem zu Elektromobilität, Normung, Bauwesen und Biowissenschaft, zur Förderung gegenseitiger Investitionen sowie zu verstärkter kultureller Zusammenarbeit.
- Daneben sollen auch Abkommen Chinas mit der deutschen Wirtschaft geschlossen werden: eine 860 Millionen-Euro-Investition von BASF in Chongqing sowie weitere Verträge für die Autobranche und den Maschinenbau.
Die Freilassung von Ai Weiwei macht vieles leichter
Einen heiklen Punkt, der Wen Jiabaos Europareise bis vergangene Woche zu überschatten drohte, hat Peking rechtzeitig beiseitegeräumt - durch die Freilassung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Zwar wird von Pekings Seite dementiert, dass die Maßnahme mit der Reise in Verbindung steht. Viel spricht jedoch dafür, dass genau das der Fall ist.
Die Freilassung von Dissidenten kurz vor oder nach wichtigen bilateralen Treffen mit Spitzenpolitikern der westlichen Welt gehört mittlerweile zum Standardprogramm der kommunistischen Führung. Neben Weiwei wurden schließlich auch vier seiner Mitarbeiter freigelassen, nach Verbüßung einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe seit Sonntagmorgen auch der Bürgerrechtler Hu Jia.
Der Umgang des kommunistischen Ein-Parteien-Staats mit seinen Kritikern begleitet seit Jahren die deutsch-chinesischen Beziehungen. Wirklich eingetrübt wurden sie dadurch nicht. Durch den Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialog versucht Berlin mit der chinesischen Seite im Gespräch über westliche Werte zu bleiben und hofft so auf eine langsame Veränderung im Denken und im Handeln.
Doch dieses Konzept, das an das Motto der sozialliberalen Ostpolitik "Wandel durch Annäherung" erinnert, wird in der Realität manchmal konterkariert. So wurde dem China-Kenner Tilman Spengler im April als Mitglied einer Delegation von Außenminister Guido Westerwelle die Einreise verweigert. Anlass der Visite war die Eröffnung einer Austellung dreier deutscher Museen im Nationalmuseum unter dem Titel "Die Kunst der Aufklärung".
Für die deutsche Seite auch ein politisch-kulturelles Statement.