Künftiger Bundestagspräsident Schäuble Der Alleskönner
Innenminister, Finanzminister, Reservekanzler und jetzt: Bundestagspräsident. Wolfgang Schäuble soll das zweithöchste Amt im Staat bekommen - und die AfD bändigen. Eine gute Wahl.
Neulich hatte Wolfgang Schäuble Geburtstag, es war sein 75. Es gab einen Festakt in Schäubles badischer Heimat und die Kanzlerin hielt eine Rede, in der sie ihren Finanzminister einen "leidenschaftlichen Parlamentarier" nannte.
Nun soll der leidenschaftliche Parlamentarier Präsident des Bundestages werden.
Das ist der Wunsch Angela Merkels und der Unionsfraktion, die im Parlament die meisten Abgeordneten stellt und das Vorschlagsrecht hat. "Wir freuen uns, dass sich Wolfgang Schäuble bereit erklärt hat, für das Amt zu kandidieren", teilte Fraktionschef Volker Kauder mit. Auf der nächsten Fraktionssitzung am 17. Oktober soll Schäuble als Unionskandidat formell bestimmt werden.
Tatsächlich wäre Schäuble auch gerne Finanzminister geblieben, daran ließ er in den Monaten vor der Wahl keinen Zweifel. Doch in einer Jamaikakoalition mit FDP und Grünen, die das Wahlergebnis nun nahelegt, könnte das Finanzressort an die Liberalen gehen. In der FDP wird als ein Anwärter Parteivize Wolfgang Kubicki genannt.
Wäre ein anderes Ministerium für Schäuble in Frage gekommen? Nicht wirklich. Denn sein Gestaltungsspielraum in der Regierung wäre massiv geschrumpft. Warum hätte er sich darauf einlassen sollen?
Dass die Union nun ihren populärsten Minister zum Bundestagspräsidenten befördern, also ins zweithöchste Amt nach dem Bundespräsidenten wählen will, das zeigt im Umkehrschluss auch, dass die Parteiführung mit einem Jamaikabündnis rechnet. Da der Bundestag spätestens 30 Tage nach der Wahl zusammentreten und seinen Präsidenten wählen muss, hatte Schäuble nicht die Option, erst eine mögliche Regierungsbildung abzuwarten.
Schäuble als Bändiger der Rechtspopulisten
Nun muss seine Nominierung kein Abstieg sein. Denn mit dem Einzug der Rechtspopulisten ins Parlament wird der künftige Bundestagspräsident besonders gefordert sein: Wie umgehen mit Provokationen, Fundamentalopposition, Tabubrüchen und Blockaden? Schäuble, seit 1972 Mitglied des Bundestags und damit dienstältester Abgeordneter, wird von Freund und Gegner zugetraut, die AfD zu bändigen. Wer, wenn nicht Schäuble - mit seiner Intelligenz, seiner Disziplin, seiner Härte?
- In der FDP erkannte man in Schäubles Nominierung auch prompt das "Zeichen für eine mögliche Jamaikaregierung", wie Kubicki dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" versicherte.
- Die SPD unterstützt Schäuble: Er sei ein "sehr erfahrener und mit allen Wassern gewaschener Politiker, der über die nötige Autorität für das Amt verfügt", so Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider.
- AfD-Fraktionschef Alexander Gauland gab zu Protokoll: "Ich habe hier keine Kritik, aber auch keine Zustimmung zu äußern."
Klar ist: Trotz des ebenfalls hohen Ansehens seines Vorgängers Norbert Lammert, wird Schäuble das Amt aufwerten. Denn er bringt einen ganz anderen Erfahrungsschatz mit, er kommt als politisches Schwergewicht ins Amt. Der Mann war entweder nahezu alles schon einmal - oder alles schon einmal beinahe:
- Chef des Kanzleramts unter Helmut Kohl;
- Innenminister unter Kohl;
- Unionsfraktionschef im Bundestag;
- CDU-Chef und Oppositionsführer;
- Beinahe-Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin;
- Beinahe-Bundespräsidentenkandidat;
- Innenminister unter Merkel;
- Finanzminister unter Merkel.
Schäubles Geschichte ist voller Tragik und Rückschläge einerseits. Und andererseits ein Beleg von Willensstärke und Durchhaltevermögen.
Er handelte in Kohls Schatten den deutschen Einheitsvertrag aus und war über Jahre dessen Kronprinz, kam dann aber nicht zum Zug. Kohl ging lieber sehenden Auges in die Wahlniederlage 1998.
Danach blieb der seit einem Attentat gelähmte und auf den Rollstuhl angewiesene Schäuble nur kurz an der CDU-Spitze, da er wegen der Parteispendenaffäre und seiner aufstrebenden Generalsekretärin Angela Merkel den lang ersehnten Posten wieder einbüßte. Nichtsdestotrotz machte er weiter, erst als Merkels Innenminister, dann als ihr Finanzminister. Zwischendurch, im Jahr 2004, wäre er gern Bundespräsident geworden - doch Merkel nominierte Horst Köhler.
Dass Schäuble trotz der Spendenaffäre heute als Mann mit Prinzipien gilt, das liegt vor allem an der Eurokrise. In Kreditverhandlungen mit pleitebedrohten Südeuropäern zeigte sich der Finanzminister als harter Hund, was ihm besonders in Griechenland viel Abneigung eintrug.
Höhepunkt der Auseinandersetzungen war Schäubles Fehde mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Der übte zum Amtsantritt berechtigte Kritik daran, wie Schäuble über die demokratisch schlecht legitimierte Eurogruppe zu einer Art zweitem Außenminister geworden war. Varoufakis' Ego war dem von Schäuble ebenbürtig, seine politische Erfahrung war es nicht mal ansatzweise. Griechenland musste schmerzhaften neuen Reformen zustimmen. Erzwungen wurden sie vor allem von Schäuble, der den Griechen mit einem vorübergehenden Euroaustritt gedroht hatte. Solche Manöver sicherten Schäuble die Sympathie des konservativen Flügels seiner Partei.
Und als erster Finanzminister seit mehr als 40 Jahren erreichte er einen ausgeglichenen Haushalt und hielt die "schwarze Null" bis zuletzt. Dass dabei viel Glück im Spiel war, weiß Schäuble selbst: Weil der Wirtschaftsboom dem Staat Rekordeinnahmen bescherte, musste er kaum selber kürzen.
In der Flüchtlingskrise setzte er sich mit Doppeldeutigkeiten immer wieder von Merkel ab, blieb aber letztlich immer loyal. Eine Art Reservekanzlerschaft trug ihm diese demonstrative politische Unabhängigkeit dennoch ein. Er hätte Merkel vielleicht sogar stürzen können, damals, als sie sich immer weiter von ihrer Partei entfernte.
Nun macht sie ihn zum Präsidenten des Bundestags.