Fremdsprachen Die Kunst des Stammelns
Wie lernen Kinder am effektivsten Englisch? Ein bayerischer Sprachforscher propagiert ein globalisiertes Einfach-Englisch und erprobt sein Konzept mit Zweitklässlern.
When is your birthday?", fragt der Lehrer. "My birsday is march", antwortet der Zweitklässler, er habe im März Geburtstag. "And how old are you?", hakt der Lehrer nach. Der Kleine schaut ratlos. Dann hält er acht Finger in die Luft: Er ist acht Jahre alt. "Very good", lobt ihn der Lehrer.
Die Zahlen beherrscht der Schüler nicht, seine Grammatik ist fehlerhaft, und auch das lispelnde "Th" kriegt er nicht hin. Aber all das lässt der Lehrer ihm durchgehen. Seine Grammatik kennt nur eine Regel: Wer sich verständlich macht, hat recht.
How shocking! Sprachpuristen graut bei so viel Nachsicht in der Englischstunde. Aber dies ist eben kein normaler Unterricht. Der Lehrer mit den eigenwilligen Methoden heißt Joachim Grzega. Er ist Linguist und lehrt normalerweise an der Katholischen Universität Eichstätt. Dort hat er ein neues Lernprogramm entwickelt: Basic Global English (BGE).
Sein globales Einfach-Englisch soll den Spracherwerb erheblich beschleunigen. Seit Oktober darf Grzega sein Konzept für ein Schuljahr an einer bayerischen Schule erproben. An diesem Mittwochnachmittag unterrichtet er Zweitklässler der Alexander-von-Humboldt-Schule in Goldkronach, einer kleinen Stadt in der Nähe von Bayreuth. Alle 21 Schüler sind freiwillig hier, Noten gibt es nicht.
Die englische Grammatik hat Grzega auf nur 20 Regeln eingedampft, das Grundvokabular auf 750 Wörter, hinzu kommen pro Schüler weitere 250 individuell ausgewählte Wörter, mit denen er über seine speziellen Hobbys und Interessen reden kann. Die wenigen Begriffe sind sorgsam ausgewählt. Während zum Beispiel das Standardlehrbuch Märchenvokabeln wie "fairy", "prince" oder "stepmother" vermittelt, konzentriert sich Grzega auf das Wesentliche: Wochentage, Zahlen, Sport, Essen, Alltagsfloskeln.
"Natürlich sollen die Kinder später einmal korrekt Englisch sprechen, wenn sie es wollen. Aber für Anfänger das Wichtigste ist erst einmal, dass sie die Angst, etwas falsch zu machen, überwinden", sagt Grzega. "Ich korrigiere daher die Aussprache nur, wenn sie missverständlich ist." Denn es ist fatal, wenn ein Urlauber fragt: "Where are the bitches", wenn er doch "beaches" meint. Ein fehlerhaft verkürzter Vokal kann reichen, und wer nach dem Strand sucht, fragt nach den Nutten.
Grzega gehört zu einer kleinen Vorhut von Linguisten, die sich derzeit weltweit formiert. Die Reformlinguisten fordern so etwas wie eine Revolution des Englischen: Fürderhin sollen Kinder nicht mehr lernen, einen Muttersprachler möglichst originalgetreu nachzuäffen. Ziel ist vielmehr, aus ein paar Brocken eine internationale Verkehrssprache zusammenzuzimmern.
"English as a lingua franca" (ELF) heißt das Konzept im Fachjargon. Auch in Frankreich erfreut es sich großer Beliebtheit. "Don't Speak English, Parlez Globish" heißt dort ein Bestseller - sprich nicht Englisch, sondern Globalesisch.
Ganz ungeniert wirbt der Autor für die Kunst des Stammelns. Und er muss es wissen: Bis zu seinem Ruhestand vor ein paar Jahren war Jean-Paul Nerrière Top-Manager beim US-Konzern IBM. Bei Geschäftsverhandlungen in aller Welt stellte er fest: Englisch wird überall gesprochen, in Afrika, Asien, Lateinamerika. Und schwer zu verstehen ist in internationalen Runden meist nicht, wer in simplen Worten radebricht, sondern eher, wer geschliffen wie ein Muttersprachler parliert.
Daher hat Nerrière, ganz ähnlich wie Grzega in Deutschland, ein spezielles "entkoffeiniertes Englisch" entwickelt, reduziert auf ein paar Grundregeln und rund 1500 Vokabeln. Wer ein halbes Jahr lang jeden Tag eine Stunde Globish übe, komme in der Geschäftswelt bereits gut durch.
"Bislang sind die Schulbücher zu sehr an Großbritannien und den USA ausgerichtet", sagt Grzega. "Was zum Beispiel sollen Schüler mit englischen Kinderreimen anfangen?" Das Lied "Baa, Baa, Black Sheep, Have You Any Wool" ist weder grammatisch korrekt noch sonderlich hilfreich im Alltag. Auch vom Klassiker "Humpty Dumpty Sat on a Wall" hält Grzega wenig. Er singt mit den Schülern lieber auf die Melodie von "Bruder Jakob": "Today is wednesday, today is wednesday ..."
Erst stutzen die Kleinen, denn gestern hieß es doch noch "Today is tuesday ...", aber dann krähen sie lauthals mit - und lernen so statt antiquierter britischer Dada-Reime global verständliche Wochentage.
- 1. Teil: Die Kunst des Stammelns
- 2. Teil: "Kann der Staat Fremdwörter und Anglizismen verbannen?"